«Linksextremismus ist für Frauen attraktiver als Rechtsextremismus»
Bei der Palästina-Demo waren auffallend viele Frauen dabei. Laut Experte hängt das eher mit politischen Motiven als wachsender Gewaltbereitschaft zusammen.

Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Palästina-Demo in Bern war überraschend die Hälfte der Kontrollierten Frauen.
- Linksextremismus spricht Frauen eher an als Rechtsextremismus, sagt ein Gewaltforscher.
- Ein Anstieg weiblicher Gewaltbeteiligung sei bisher aber nicht statistisch belegbar.
Nach der unbewilligten Palästina-Demo vom vergangenen Samstag sorgt ein Detail für Erstaunen: Rund die Hälfte der von der Polizei eingekesselten und anschliessend kontrollierten Personen waren Frauen.
Viele waren offenbar an vorderster Front dabei, als es rund um den Bundesplatz zu heftigen Zusammenstössen mit der Polizei kam.
Ein solch hoher Frauenanteil ist in dieser Form selten dokumentiert. Zwar gilt die linksextreme Szene in der Extremismus-Forschung als vergleichsweise gemischt. Bei militanten Aktionen sind Frauen in der Regel aber unterrepräsentiert.
Ist die linksextreme Szene weiblicher geworden? Hat sich gar die Bereitschaft von Aktivistinnen, in den Strassenkampf zu ziehen, vergrössert?
Forscher mahnt zur Vorsicht bei der Interpretation
Gewaltforscher Dirk Baier warnt zunächst vor vorschnellen Schlüssen: «Wichtig ist erstens, kontrollierte nicht mit gewalttätigen Personen gleichzusetzen. Nur der kleinere Teil der kontrollierten Personen war gewalttätig.»
Baier geht davon aus, dass sich gerade unter den nicht-gewalttätigen Demonstrierenden überdurchschnittlich viele Frauen befanden. «Da Frauen grundsätzlich weniger zur Ausübung physischer Gewalt neigen.»
Ungeachtet dessen sei der Linksextremismus für Frauen deutlich attraktiver als der Rechtsextremismus. «Der Linksextremismus setzt sich für eine gerechtere Gesellschaft ein, für mehr Gleichheit, für die Schwachen. Das sind Themen, die Frauen wichtig finden», erklärt Baier.
Hinzu komme, dass sich der Linksextremismus insbesondere für die Gleichheit von Frauen starkmache. «Der Rechtsextremismus hingegen diskriminiert aktiv Frauen, will traditionelle Geschlechterrollen gefestigt sehen – das ist für viele Frauen unattraktiv.»
Keine neue Entwicklung
Einen grundsätzlichen Wandel in der Geschlechterverteilung innerhalb der Szene erkennt der Forscher allerdings nicht. «Im Linksextremismus gab es schon immer einen höheren Frauenanteil als in anderen Extremismen», sagt Baier.
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Er erinnert etwa an die Rote Armee Fraktion (RAF) im Deutschland der 70er und 80er Jahre. Dort lag der Anteil Frauen unter den gesuchten Terroristen zeitweise bei 60 Prozent. «Ich würde daher nicht sagen, dass die Situation heute sehr viel anders ist.»
Pro-Palästina-Thema als Mobilisierungsfaktor
Neben Themen wie Geschlechtergleichheit oder Klimaschutz mobilisiere auch das Pro-Palästina-Thema Frauen für den Linksextremismus, erklärt Baier:
«Der Krieg wird nicht allein als Krieg gegen die Hamas gesehen. Sondern gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und damit auch gegen Frauen und Kinder – das heisst: einmal mehr leiden die Schwächsten.»
In Kombination mit dem linksextremistischen Anti-Imperialismus könne diese Wahrnehmung auch unter jungen Frauen Empörung und «letztlich auch Aktionismus» auslösen.
Ein genereller Trend hin zu mehr Gewaltbeteiligung von Frauen lässt sich laut dem Experten aber nicht belegen. «Spezifisch auf Demonstrationsgeschehen liegen meines Wissens keine Statistiken vor», so Baier.
In der allgemeinen Gewaltkriminalität zeige sich weiterhin das bekannte Muster: Männer seien rund dreimal häufiger gewalttätig als Frauen. Der hohe Frauenanteil unter den Demonstrierenden sei daher kaum mit einer veränderten Haltung von Frauen zu Gewalt zu begründen.