Das Coronavirus polarisiert. Von fremden «Corona-Leugern» kann man sich distanzieren. Aber von Familie und Freunden? Ein Sozialpsychologe rät zum Dialog.
Coronavirus
Das Coronavirus und die Massnahmen zur Eindämmung polarisieren weltweit stark. - Keystone, Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Radikale Meinungsunterschiede zu Corona führen häufig zu Distanzierungen.
  • Doch was, wenn ein enger Freund oder Familienmitglied ganz anders denkt?
  • Ein Sozialpsychologe hat Antworten, warum Wiederannäherungsversuche trotzdem wichtig sind.

Mittlerweile dürfte es vielen Menschen bekannt vorkommen: Ein Familienmitglied äussert sich plötzlich skeptisch über die Gefahr des Coronavirus. Eine gute Freundin postet Verschwörungstheorien auf Social Media. Ein Kumpel verkündet, er werde beim Einkaufen sicher keine Maske tragen.

Radikale Meinungsunterschiede über das Coronavirus können schnell zu einer Distanzierung führen. So geschehen ist das etwa beim Luzerner Arzt Andreas Heisler. Nachdem er sich skeptisch über die Corona-Massnahmen geäussert hatte, kündigte das gesamte Personal. Dem Komiker Marco Rima liefen nach seinen Corona-Äusserungen die Fans davon.

Vorsicht mit Stereotypen und Unterstellungen

Wer schon mal mit einer Person mit radikal unterschiedlichen Meinungen über das Coronavirus diskutiert hat, weiss: Solche Diskussion können hitzig werden. Gemäss Johannes Ullrich, Professor für Sozialpsychologie an der Uni Zürich, wird es in solchen Situationen umso schwieriger, die Gemeinsamkeiten im Blick zu behalten.

Universität Zürich
Johannes Ullrich,Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich - Universität Zürich

Bestehende Stereotypen über «Coronaleugner» und «ängstliche Mitläufer» bergen auch Gefahr für Diskussionen, sagt Ullrich. «Es werden also gefährliche ‹Wir gegen die›-Unterscheidungen aufgemacht, sodass wir hinter jeder Aussage einen Bedeutungsüberschuss vermuten. Nach dem Motto, wer eine einzelne Coronamassnahme kritisiert, trägt auch einen Aluhut. Oder wer eine Maske trägt, ist ein ängstlicher Mitläufer.»

Mein Vater, der Aluhut?

Doch wie reagiert man, wenn der «Aluhut» und die Corona-Skeptikerin plötzlich die eigenen Freunde und Familienmitglieder sind? Die Diskussionen am Esstisch auf einmal anstrengend werden? Will man dann auch mit seinem engen Umfeld nichts mehr zu tun haben?

Johannes Ullrich sagt: «Unter nahestehenden Personen ist der Wunsch nach Distanzierung nicht normal.» Mit Mitgliedern einer Gruppe, die für eine Person bedeutsam ist, könne man nicht so einfach den Kontakt abbrechen. Bei weniger nahestehenden Personen sei dies einfacher.

Coronavirus Freundschaft
Radikale Meinungsverschiedenheiten über das Coronavirus müssen nicht das Ende der Freundschaft bedeuten. (Symbolbild) - Pixabay

Stattdessen versuchen die Mitglieder in einer solchen Gruppe, die Abweichler «zurück ins Boot zu holen». Es bestehe ein Druck nach Konsens, so Ullrich. «Entweder die Abweichler lassen sich zurückholen, oder die Abweichler überzeugen die Gruppe, ihre Meinung zu ändern.»

Die erste Reaktion sind also Wiederannäherungsversuche. «Wenn sie nicht erfolgreich sind, birgt das natürlich ein grosses Konfliktpotential», sagt Ullrich. Erst wenn die Kommunikationsversuche scheitern, würden die Abweichler aus der Gruppe ausgeschlossen – sofern überhaupt möglich.

Dialog über Coronavirus kann sich lohnen

Der Dialog über das Coronavirus kann sich aber lohnen, auch wenn er anstrengend ist. Sozialpsychologe Ullrich sagt: «Einander zuhören und voneinander lernen kann dazu führen, dass sich beide Seiten mässigen und auf einen weniger extremen Nenner kommen.»

Die Toleranz hört für den Sozialpsychologen dann auf, wenn die Grundwerte einer Gesellschaft gefährdet werden. Etwa Menschenwürde und das Recht auf Unversehrtheit. «Es fällt in den Bereich der Zivilcourage, Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit ihren Äusserungen anderen direkt oder indirekt Schaden zufügen.»

Sucharit Bhakdi Corona Skeptiker
Corona-Skeptiker verehren Bhakdi und Reiss als Helden. - Keystone

Enge Beziehungen mit Menschen, die Verschwörungstheorien oder ähnliches vertreten, müssen also nicht zwingend in die Brüche. «Für eine Versöhnung braucht es ein gegenseitiges Verständnis der jeweils verletzten Bedürfnisse», sagt Ullrich. Dafür müsse ohne Stereotype und Unterstellungen sachlich diskutiert werden.

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