Berner Taschen mit Flussgeschichte
Ausgediente Schlauchboote landen in der Verbrennung. Oder werden zu stylischen, nachhaltigen Taschen mit Geschichte.

«Ich sah diesen Berg an Booten, die im Container lagerten und auf die Kehrichtverbrennungsanlage warteten. Gutes, stabiles Material, das gemacht wurde, um Menschen auf dem Wasser zu tragen und jetzt lag das einfach achtlos auf dem Müll», umschreibt Elmo Francis seine Gedanken, als er das erste Mal hier bei der Auswasserungsstelle im Marzili vorbeikam.
«Bei uns in Sri Lanka käme niemand auf die Idee, solches Material einfach wegzuwerfen.» Für ihn war schnell klar: Dieses hatte noch eine Bestimmung. Wenn es keine Menschen mehr trägt, dann vielleicht deren Wertsachen? Als leidenschaftlicher Bergsteiger und Schwimmer war er seit jeher der Natur verbunden und hatte sich bereits in Sri Lanka für Nachhaltigkeitsprojekte eingesetzt.
Die Kreislaufwirtschaft faszinierte ihn und er ist auch heute noch überzeugt, dass sie der richtige Ansatz für unsere zukünftige Welt ist.

Partnersuche
Das Projekt «Offener Hörsaal» an der Uni Bern, welcher geflüchteten Menschen einen Hochschulzugang ermöglichen sollte, wurde schliesslich für Elmo zum Türöffner. Hier lernte er Yannick Käser kennen, Masterstudent der Sozial- und Umweltgeschichte und der Nachhaltigen Entwicklung.
«Ich war sofort fasziniert von diesem sympathischen, initiativen Mann», schildert Yannick Käser sein erstes Zusammentreffen mit Elmo. «Ausserdem stimmte die Chemie zwischen uns.» Das bestätigt auch Elmo: «Ich spürte, dass Yannick den Sinn hinter der Idee sieht und ein vertrauensvoller Mensch ist.» Über Yannick kam Elmo mit dem hochschulübergreifenden Hub ‘Students4Sustainability’ in Kontakt, der ausgewählte Projekte von Studierenden unterstützt.
Boat2Bag konnte so 10‘000 Franken an Förderung erhalten. Zudem profitierte das Projekt von der Zusammenarbeit mit Studierenden des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. Sichtbarkeit und ein gutes Netzwerk seien entscheidend, weiss Yannick. So erfuhr beispielsweise auch der BärnerBär am 3. Forum Kreislaufwirtschaft der BFH Wirtschaft in Thun von diesem Projekt.
Infos zu «Boat2Bag»
Das Projekt zielt darauf ab, Flüsse sauber zu halten, indem alte und beschädigte Schlauchboote, die entlang der Aare und an Orten wie dem Container im Marzili entsorgt werden, zu qualitativ hochstehenden Taschen und Accessoires verarbeitet werden. Mit diesem Ansatz und mit der Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen leistet Boat2Bag einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Die Initiative braucht nun vor allem grosse Bestellungen durch Firmenkunden, um in einem nächsten Schritt die Produktion aufbauen zu können. https://boat2bag.ch/
Wie alles begann
«Am Anfang musste ich – bildlich gesprochen –die fliegenden Ideen zu Boden bringen und ganz unten anfangen. Ich nahm ein weggeworfenes Boot, reinigte es, schnitt es auf und dabei kamen mir die Designideen.» Die Gründung seines Unternehmens «Boat2Bag» war der nächste Schritt.
«Man muss einen ziemlich langen Atem haben, dranbleiben und gewillt sein, nicht aufzugeben. Ich hatte nach meiner Flucht aus Sri Lanka alles verloren, was ich mir dort aufgebaut hatte. Deshalb blieb mir gar nichts anderes übrig, als nach vorne zu schauen. Und ich war einfach fest davon überzeugt, dass das hier eine gute Sache ist», erklärt der Neu-Unternehmer.
Klar war auch: Das Projekt sollte zirkulär und nicht profitorientiert sein, vom Sammeln über die Verarbeitung bis zum Versand. Produziert werden die Taschen bei KoKoTé in Schattdorf (UR), einem Betrieb, der dieselben Werte lebt. «Gerne hätten wir natürlich eine Manufaktur hier in Bern gehabt, aber leider gibt es eine solche bisher (noch) nicht», führt Yannick Käser weiter aus. «Aber wir bleiben dran!»
Jede ist einzigartig
Jede Tasche ist ein Unikat mit einer Geschichte, die auf dem Wasser begann. «Jeder Kratzer, jede Struktur und jede Markierung ist somit kein Makel, sondern ein Fingerabdruck ihrer Geschichte und der Beweis für ein ereignisreiches Leben», sagt Elmo Francis und man spürt seine Leidenschaft.

«Das Material wurde gerettet, neu interpretiert und als funktionale und qualitativ hochstehend verarbeitete Tasche wiedergeboren.» Auch Yannick Käser ist überzeugt, dass Design mehr leisten muss, als nur gut auszusehen. «Es muss Gutes bewirken. Deshalb sind die Taschen und Accessoires durchdacht konstruiert, mit minimalem Verschnitt, modularen Komponenten für eine längere Lebensdauer und einer zeitlosen Ästhetik, die über Fast Fashion hinausgeht».
Und Elmo Francis ergänzt: «Jede Designentscheidung wird von Einfachheit, Langlebigkeit und ethischen Auswirkungen geleitet.» Ein weiteres Detail: Die Produkte tragen Namen von Schweizer Flüssen. Das Etui heisst «Sense», die Laptoptasche «Reuss», die Umhängetasche «Langete», der DryBag «Aare». «So lernen Menschen die Schweizer Flüsse kennen, entwickeln ein Umweltbewusstsein und leisten einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstosses», so Elmo.
Teil des Projekts werden
Während unseres Gesprächs wassern einige Aareböötler aus, und eines der Boote wird tatsächlich auch gleich im grossen Container entsorgt, den die Stadt extra zur Entsorgung von Aarebooten aufgestellt hat. «Insgesamt drei Tonnen Bootsplastik kamen allein letztes Jahr an dieser Stelle zusammen!», hält Yannick fest.

Rohmaterial gibt es also genug und die erste Produktionsreihe war sofort ausverkauft. Deshalb haben Elmo und Yannick ein Crowdfunding auf wemakeit.ch gestartet, das noch bis zum 19. Juli läuft. Zudem wurde Boat2Bag von einem europäischen Hochschulnetzwerk ausgezeichnet und darf das Projekt bald in Schweden präsentieren.
Der Traum von Elmo Francis nimmt damit langsam Gestalt an: «Ich möchte mit ‘Boat2Bag’ eine Stimme für bewusste Kreativität sein. Für eine Zukunft, in der Nachhaltigkeit nicht nur ein Begriff, sondern gelebte Praxis ist.»
Mithelfen und neues Leben schenken: https://wemakeit.com/projects/boat2bag