Schweizer Forscher wollen künstlich ein kleines Erdbeben auslösen
Im Tessin wollen Forschende in einem unterirdischen Labor künstliche Mini-Erdbeben erzeugen, um deren Entstehung und Vorhersage besser zu verstehen.

In einem unterirdischen Forschungslabor im Tessin wollen Forscherinnen und Forscher künstlich kleine Erdbeben auslösen. Damit wollen sie besser verstehen, wie Erdbeben entstehen, um die Vorhersage solcher Ereignisse zu verbessern.
Geplant sei die Auslösung eines Erdbebens der Magnitude 1. Das liege deutlich unter der Schwelle menschlicher Wahrnehmung, die an der Oberfläche etwa bei einer Magnitude von 2,5 liege, erklärten die beteiligten Forschenden am Dienstag vor den Medien bei Bedretto TI.
Das Risiko, dass ein solches künstliche Erdbeben an der Oberfläche Schäden auslöse, sei sehr gering – die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Erdbeben der Magnitude 4 werde, wollen die Forschenden unter 1 zu 10'000 halten. «Und auch ein solches würde an der Oberfläche nicht zu grosser Zerstörung führen», sagte Stefan Wiemer von der ETH Zürich und dem Schweizerischen Erdbebendienst, der zusammen mit drei weiteren Forschenden das Projekt leitet.
EU fördert Millionenprojekt im Bedrettolab
Der geplante Versuch ist Teil eines grösseren neuen Forschungsprojektes mit dem Namen «Fault Activation and Earthquake Rupture» (FEAR), das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit 14 Millionen Euro gefördert wird.
Im Bedrettolab, einem Forschungslabor der ETH Zürich im ehemaligen Bedretto-Baustollen des Furkatunnels, wurde dafür ein 120 Meter langer neuer Seitentunnel gebaut. Um dahin zu gelangen, geht es zu Fuss über eine halbe Stunde in den Fels hinein. Der Tunnel verläuft parallel zu einer natürlichen Verwerfung – einem Bruch zwischen zwei Gesteinsblöcken.
Mit grossem Druck wollen die Forscherinnen und Forscher Wasser in diese Verwerfung pumpen. Das soll die Gesteinsblöcke bewegen. Ziel sei es, einen 50 Meter grossen Gesteinsblock um etwa einen Millimeter zu verschieben. «Das mag nach wenig klingen, aber man muss sich vorstellen: Über der Verwerfung liegen mehr als 1000 Meter Fels», sagte Florian Amann von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen in Deutschland. Diese wiegen um die 25'000 Tonnen.
Direkte Messungen am Ursprung der Beben
Diese mehr als 1000 Meter Fels, die über der Verwerfung liegen, seien es auch, die diesen Versuch so aussergewöhnlich machten. Es gebe zwar weltweit Überwachungsnetze für Erdbeben, hiess es in der Mitteilung der ETH Zürich. Die meisten davon seien aber an der Erdoberfläche und damit Kilometer vom Erdbebenherd entfernt.
Mit den Messungen mitten im Berg, also genau da, wo das Erdbeben entsteht, will das Forschungsteam mit rund 40 Forscherinnen und Forschern Fragen beantworten wie «Was geschieht unmittelbar vor Beginn eines Erdbebens?» und «Was bringt ein Erdbeben zum Stillstand?» Und vielleicht, so die Forschenden, könnten dadurch Erdbeben sogar etwas besser vorhergesagt werden.
Künstliche Beben für neue Erkenntnisse
Das Ziel ist es jedenfalls, Erdbeben besser vorhersagen zu können. Bisher sei aber unklar, wie vorhersehbar Erdbeben wirklich seien, erklärten die Forschenden. Trotz jahrzehntelanger Suche seien bislang keine verlässlichen Vorhersagesignale gefunden worden.
Im neuen Seitentunnel des Bedrettolabs sollen neue Daten gesammelt werden, die helfen, einer Antwort näher zu kommen. «Da wir nicht die Zeit haben, zu warten, bis es am genau richtigen Ort wieder zu einem Erdbeben kommt, lösen wir sie selber aus», sagte Wiemer. Zum ersten Mal soll im März 2026 ein solches Erdbeben ausgelöst werden.