Telekom-Klägern wird Vergleich angeboten
Nach 20 Jahren Juristenstreit geht es auf einmal ganz schnell. Die Anwälte beider Seiten sowie der zuständige OLG-Senat präsentierten innerhalb einer halben Stunde einen Vergleich, den man kaum ablehnen kann.
Das Wichtigste in Kürze
- Für die allermeisten Kläger geht der Prozess um den Telekom-Börsengang im Jahr 2000 in den kommenden Monaten zu Ende.
Noch im laufenden Jahr sollen die ersten Zahlungen aus einem Vergleichsvorschlag fliessen, auf den sich Anlegerschützer und die beklagte Deutsche Telekom geeinigt haben - mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Der Einigungsvorschlag soll sämtlichen Klägern bis zum 30. Juni 2022 vorgelegt werden. Sie alleine entscheiden über Annahme oder Ablehnung.
Bei Annahme erhalten die Aktionäre den im Jahr 2000 geleisteten Kaufpreis von 66,50 Euro pro Aktie zurück, von dem zwischenzeitlich gezahlte Dividenden und Teilverkäufe abgezogen werden. Auch der heutige Wert der Aktie wird mit 16,50 Euro verrechnet sowie die nachträglich verteilten Bonusaktien des Bundes, weil sämtliche Papiere bei den Käufern bleiben sollen. Aufgeschlagen werden dann noch 70 Prozent der angefallenen Prozesszinsen, die seit Einreichung der Klagen aufgelaufen sind.
Die Telekom wie auch die beigeladenen Parteien KfW-Bank und Bundesrepublik Deutschland wollten sich zum finanziellen Gesamtumfang des Vergleichs nicht äussern. Die rund 16.000 Kläger hatten anfangs einen Schaden von rund 80 Millionen Euro geltend gemacht. In etwa die gleiche Summe dürfte nun noch einmal für die über viele Jahre aufgelaufenen Zinsen anfallen, hiess es in Anwaltskreisen.
«Damit werden - bis auf einen kleinen Teil der Zinsen - nahezu 100 Prozent der geltend gemachten Ansprüche befriedigt», erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler. Auch die erstattbaren Prozess- und Anwaltskosten sollen nicht an den Klägern hängenbleiben.
Neben weiteren Klägeranwälten riet auch der Vorsitzende Richter Bernhard Seyderhelm den Kleinanlegern dringend, den Vergleich anzunehmen. Er warnte sie vor nicht kalkulierbaren Kostenrisiken bei einer Weiterführung des Prozesses, der gut und gerne noch weiter fünf Jahre dauern könne bis zu einer rechtsgültigen BGH-Entscheidung. «Der Senat legt allen Beteiligten nahe, diesen Vergleich abzuschliessen.» Telekom-Chefjuristin Claudia Junker sprach sogar von bis zu zehn Jahren, die es ohne Kompromiss hätte dauern können. «Es ist jetzt an der Zeit gewesen, dass wir dieses sehr faire Angebot machen.»
Es dauerte am Dienstag im Saal E II auch nur eine Viertelstunde, bis der Anwalt Peter Gundermann von der Kanzlei Tilp erstmals das Wort vom «Mammutprozess» in den Mund nahm. Selten hat der Vergleich zu dem Ur-Tier besser gepasst als bei der Causa Telekom, bei der erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte die rund 12.000 beim Landgericht Frankfurt eingegangenen Klagen von mehr als 16.000 Klägern zu einem eigens gesetzlich geschaffenen Kapitalanlegermusterverfahren (KapMuG) zusammengefasst wurden.
Es folgten zwei nahezu endlose Prozesse vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, dessen Vorlagebeschlüsse beim Bundesgerichtshof beide Male nicht vollständig überzeugten, so dass 20 Jahre nach den ersten Klagen immer noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.
Im Prozessverlauf starben im Juni 2016 der ausgewählte Musterkläger Bruno Kiefer und am 1. April dieses Jahres auch der Rechtsanwalt und profilierte Anlegervertreter Andreas Tilp, der das Verfahren entscheidend geprägt hatte. Sein enger Kollege Peter Gundermann wiederholte nach dem Vergleichsvorschlag die Einschätzung, dass die Kläger ohne das zusammenfassende Musterverfahren vermutlich leer ausgegangen wären. «Das KapMuG bündelt die Kräfte aller Anleger, damit entsteht ein wirksames Gewicht gegen die Marktmacht des Gegners», sagte der Anwalt.
Eine schnelle Lösung des Konflikts ist dennoch nicht herausgekommen - anders als in den USA, wo die Telekom bereits im Jahr 2005 an Anleger 150 Millionen Dollar ausgezahlt hat. «Der Fall zeigt eindeutig, wie ungeeignet das KapMuG-Verfahren in seiner aktuellen Ausgestaltung ist», kritisiert DSW-Vertreter Tüngler.
Sein Kollege Klaus Nieding hofft, dass von dem «absolut sinnvollen» Frankfurter Vergleich eine Signalwirkung auf andere KapMug-Prozesse wie Volkswagen oder Porsche ausgeht: «Die Unternehmen müssen sich viel früher bewegen im Sinne der Aktienkultur. Das heisst, sie müssen auf die Aktionäre zugehen, die klagen.»