Wegen Teilzeit: Arbeiten wir künftig über das Rentenalter hinaus?

Elena Hatebur
Elena Hatebur

Bern,

Länger arbeiten, aber freiwillig: Der Bundesrat setzt neue Signale. Doch wie belastend ist dies für weiterarbeitende Rentnerinnen und Rentner?

Frau am PC
Eine Erhöhung des Rentenalters ist nicht vorgesehen. Trotzdem sollen Anreize für freiwillige Weiterarbeit geschaffen werden. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesrat möchte für die AHV2030 Anreize zur Weiterarbeit nach der Rente schaffen.
  • Die Lebensarbeitszeit dürfte jedoch trotz der Erwerbstätigkeit im Alter nicht steigen.
  • Das hat auch mit dem Boom der Teilzeitarbeit zu tun.
  • Experten zeigen sich offen, betonen aber auch präventive Massnahmen.

«Es soll zur Normalität werden, freiwillig auch über das Referenzalter hinaus zu arbeiten.» Mit diesem Satz in einem SRF-Interview gab Doris Bianchi, Direktorin des Bundesamts für Sozialversicherungen, kürzlich einen entscheidenden Fingerzeig.

Bianchi spricht damit eine längst reale Entwicklung an. Der Bundesrat hat in seinen Leitlinien zur Reform AHV2030 Ende November festgelegt, wohin die Reise gehen soll.

Das Rentenalter soll nicht erhöht werden.

Dafür will man aber unter anderem finanzielle Anreize zum Weiterarbeiten schaffen.

Sowohl Ständerat als auch Nationalrat haben zwei entsprechende Motionen gutgeheissen. Der Freibetrag (wie viel man ab der Rente arbeiten darf, ohne Beiträge zu zahlen) nach dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters soll erhöht und regelmässig angepasst werden.

Gleichzeitig stellt sich eine grundlegende Frage: Wie realistisch ist ein längeres Erwerbsleben, wenn die Arbeitsmodelle von morgen auf Teilzeit, Flexibilität und Verdichtung setzen?

Experte: «Zunahme der Erwerbsarbeit über das legale Rentenalter hinaus»

Michael Siegenthaler ist Leiter des Forschungsbereichs Arbeitsmarkt an der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Er beobachtet seit Jahren, wie sich der Übergang ins Rentenalter entwickelt.

«In der Tat beobachten wir in der Schweiz eine stetige Zunahme der Erwerbsarbeit über das legale Rentenalter hinaus», sagt er. Allerdings sei es weiterhin eine relativ deutliche Minderheit, die über das reguläre Rentenalter hinaus arbeite.

Michael Siegenthaler
Michael Siegenthaler leitet den Forschungsbereich Schweizer Arbeitsmarkt an der KOF. Zudem ist er als Dozent tätig. - zVg

«Zudem wird nach 65 oft in tiefen Pensen gearbeitet», sagt Siegenthaler. Die Schweiz habe im internationalen Vergleich bei den 65- bis 74-Jährigen eine vergleichsweise geringe Erwerbsbeteiligung.

Ein wesentlicher Grund sei, dass viele nicht auf das zusätzliche Einkommen angewiesen seien, so Siegenthaler. Wo nach dem Rentenalter gearbeitet werde, geschehe das häufig freiwillig.

Trend zur Teilzeitarbeit bei allen Altersgruppen

In der öffentlichen Debatte wird diese Entwicklung gerne mit dem Boom der Teilzeitarbeit verknüpft. Und: Er wird besonders gerne der jungen Generation angelastet.

Doch Siegenthaler bremst voreilige Schlüsse: «Der Trend zur Teilzeitarbeit ist nicht auf die Gen Z beschränkt, sondern bei allen Altersgruppen zu beobachten.» Vor allem aber bedeute er nicht, dass weniger gearbeitet werde.

Die Verschiebung lasse sich auch durch die neue Aufteilung der Erwerbsarbeit innerhalb von Haushalten erklären, sagt Siegenthaler. «Früher war die Norm, dass der Mann 100 Prozent und die Frau 0 Prozent oder vielleicht 40 Prozent gearbeitet hat.»

Wirst du auch über das Rentenalter hinaus arbeiten?

«Heute ist es bei Paaren immer mehr 80 und 60 Prozent oder 80 und 80 Prozent. So wird bei zwei Teilzeitpensen statt wie zuvor null oder einem Teilzeitpensum insgesamt mehr Erwerbsarbeit geleistet als früher.»

Keine längere Lebensarbeitszeit

Teilzeitarbeit stehe damit nicht im Widerspruch zur Vorstellung eines längeren Erwerbslebens.

Die Vorstellung einer steigenden Lebensarbeitszeit relativiert sich zudem aus historischer Sicht. Der Berufseinstieg findet heute später statt als noch vor 50 Jahren, erklärt Siegenthaler.

«Die Lebensarbeitszeit dürfte also trotz leichtem Anstieg der Erwerbsarbeit im Alter künftig nicht zunehmen», so der Experte. Produktivitätsfortschritte würden Arbeitszeitverkürzungen erlauben, der Trend zur längeren Präsenz im Arbeitsmarkt wird dadurch also teilweise kompensiert.

Erhöhtes Risiko für Burnout?

Doch auch die gesundheitlichen Risiken eines verlängerten Erwerbslebens bilden ein zentrales Thema, das es zu berücksichtigen gilt. Zwar kann Arbeit sinnstiftend und strukturgebend sein.

Doch Burnout und chronische Erschöpfung sind längst nicht mehr Randphänomene. Es wäre naiv, diese aus der Diskussion auszuklammern.

Fiona Witte und Sebastian Haas bilden das Leitungs-Duo des Behandlungsschwerpunktes «Burnout und Belastungskrisen» in der Zürcher Privatklinik Hohenegg. Die beiden medizinischen Experten betonen, dass die Dauer des Arbeitslebens allein kaum ausschlaggebend ist.

«Grundsätzlich hängt das Risiko für ein Burnout nicht nur von der Arbeitsintensität ab. Sondern auch von der Qualität der Arbeitsbedingungen», erklären sie.

Psychische Gesundheit auf der Führungsagenda

«Viele Erwerbstätige kämpfen bereits heute in jungen und mittleren Jahren mit starker Überlastung», warnen die Experten. Länger Arbeiten könne durchaus sinnvoll sein. Aber nur dann, wenn die Arbeit gesund gestaltet sei.

Für sie ist die Idee «weniger arbeiten, dafür länger» aus gesundheitlicher Sicht durchaus plausibel. «Mehr Erholung, mehr Flexibilität und Tätigkeiten, die Sinn stiften, können die Arbeitsfähigkeit bis ins höhere Alter stärken.»

Es sei «wünschenswert, wenn psychische Gesundheit auch mit auf der Führungsagenda stünde». Problematisch werde es dort, wo dieser Ansatz in der Realität ins Gegenteil verkehrt werde. Also dann, wenn dieselbe Menge Arbeit in weniger Zeit komprimiert werde.

Wie risikoreich ist die Weiterarbeit nach 65?

Witte und Haas: «Dann steigt das Risiko für psychische Überlastung eher noch an. Weniger arbeiten darf nicht bedeuten, dass man sich nur noch stärker beeilen und immer effizienter werden muss.»

Entscheidend sei zudem, dass die Leistungsfähigkeit mit dem Alter physiologisch abnehme und die Arbeitsgestaltung diese Tatsache berücksichtige.

Präventionsmassnahmen sind nötig

Aus Sicht der Prävention sind tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt nötig. Dazu sagen die beiden Experten: «Damit Burnout, chronische Erschöpfung und stressbedingte Erkrankungen verhindert respektive abgeschwächt werden können, bräuchte es einen Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt.»

Dazu würden klare Prioritäten, realistische Ziele, eine Kultur offener Gespräche und der Abbau permanenter Erreichbarkeit gehören.

Experten Burnout
Die beiden Experten für Burnout und Belastungskrisen: Dr. biol. hum. Fiona Witte und Dr. med. Sebastian Haas. - zVg

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich stärker mit psychischer Gesundheit befassen. Prävention dürfe nicht Ausnahme, sondern sollte Normalität sein, betonen Witte und Haas.

Freiwilliges Weiterarbeiten ohne verdeckten Zwang

Dasselbe gilt auch für den politischen Rahmen. Ein längeres, aber weniger intensives Erwerbsleben erfordere spezifische Modelle. Solche, die individuelle Übergänge erlauben und altersgerechte Aufgabenverteilungen fördern.

Die Experten fassen zusammen: «Soziale und psychische Sicherheit muss gewährleistet sein, damit ‹freiwilliges Weiterarbeiten› nicht zum verdeckten Zwang aus finanzieller oder sozialer Not wird.»

Kommentare

User #5051 (nicht angemeldet)

Ich arbeite auf dem Katthult-Hof in Lönneberga auch nach der coolen Pensionierung.

User #5029 (nicht angemeldet)

nur wer dumm ist arbeitet mehr wie 20 jahre! das system hält alle dumm, da es billige gefolgse arbeiter braucht!

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