Ungeachtet der Tragödie im Ärmelkanal mit mindestens 27 Toten haben sich erneut viele Menschen illegal auf den gefährlichen Weg nach Grossbritannien gemacht. An der englischen Küste kamen am Donnerstag erneut Migranten auf kleinen Booten an, wie britische Medien berichteten.
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Ein Schlauchboot wird an Land geschleppt. (Archivbild) - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die britische Regierung rief die französischen Behörden zu mehr Anstrengungen auf, die Überfahrten zu verhindern.

Premierminister Boris Johnson warb mit Nachdruck für gemeinsame Patrouillen an der französischen Küste. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin mahnte zur Zusammenarbeit.

Am Mittwoch war ein Boot im Ärmelkanal vor der französischen Stadt Calais gekentert. Dabei starben mindestens 27 Menschen, darunter Frauen und Kinder. Die französischen Behörden nahmen fünf mutmassliche Menschenschmuggler fest. Mindestens ein Verdächtiger kam aus Deutschland, wie Darmanin sagte. «Der Schleuser, den wir heute Nacht festgenommen haben, hatte deutsche Kennzeichen», sagte der Minister. «Er hat diese Schlauchboote in Deutschland gekauft.»

Johnson wiederholte den Vorwurf, Frankreich tue zu wenig, um die Überfahrten zu verhindern. Sein Sprecher wies auf die umgerechnet 62 Millionen Euro hin, mit denen Grossbritannien die französischen Kontrollen am Ärmelkanal unterstützt. Das Geld sei dafür gedacht, Migranten aufzuhalten, sagte er.

In diesem Jahr sind bereits etwa 26 000 Migranten an der englischen Küste angekommen - drei Mal so viele wie im gesamten Vorjahr. «Wir sind bereit, Unterstützung vor Ort zu bieten», sagte der britische Innen-Staatssekretär Kevin Foster der BBC. «Wir sind bereit, Ressourcen zu bieten. Wir sind bereit, Personal zu schicken und den französischen Behörden zu helfen.» Das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler müsse zerstört werden.

Französische Politiker lehnten die britische Forderung ab, eigene Beamte nach Frankreich zu schicken. Die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, machte Johnsons harte Migrationspolitik für die Krise verantwortlich. Der Vize-Präsident der Region Hauts-de-France, in der Calais liegt, Franck Dhersin, forderte die britischen Behörden auf, härter gegen die Hintermänner der Schleuser vorzugehen. Diese lebten in London und verdienten Hunderte Millionen Euro, sagte er.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Johnson hatten noch am Mittwochabend über Schritte zur Verhinderung weiterer solcher Dramen beraten. Nach Angaben des Elysée-Palastes erwartet Macron, dass die Briten zu Zusammenarbeit bereit seien und das Flüchtlingsdrama nicht zu politischen Zwecken instrumentalisierten. «Frankreich wird nicht zulassen, dass der Ärmelkanal zu einem Friedhof wird», sagte Macron.

In Grossbritannien kritisierten Menschenrechtler und Opposition die Einwanderungspolitik der Regierung. Anstelle scharfer Asylgesetze seien humane und sichere Wege nach Grossbritannien nötig. Vor allem Innenministerin Priti Patel steht unter Druck. Die konservative Hardlinerin hatte versprochen, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Zuletzt kündigte Patel erneut eine Verschärfung an: So sollen Menschen, die illegal ins Land gelangen, keinen Asylantrag mehr stellen dürfen.

Die Zahl der Asylanträge in Grossbritannien ist derzeit so hoch wie seit fast 17 Jahren nicht mehr. 37 562 Menschen hätten in den zwölf Monaten bis September Asyl erbeten, teilte das Innenministerium in London mit. Das ist fast ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum und zudem etwas mehr als zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015/16. Mit Stand Ende September 2021 warteten 67 547 Menschen auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag, so viele wie noch nie seit Beginn der Auswertung.

In Frankreich warten noch immer zahlreiche Menschen auf eine Überfahrt. Britische Medien zitierten mehrere Flüchtlinge, die trotz der Tragödie vom Vortag an ihren Plänen festhalten wollen. Die Meerenge zwischen Calais und der englischen Hafenstadt Dover gilt als eine der schiffreichsten Verkehrsstrassen der Welt.

Der britische Flüchtlingsrat sprach ebenso wie die oppositionelle Labour-Partei von einem «Weckruf», die Regierung müsse ihren Kurs überdenken. Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Justin Welby, forderte ein besseres Einwanderungssystem aus «Mitgefühl, Gerechtigkeit und Kooperation über Grenzen hinweg».

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