Von EU-Beitrittskandidaten erwartet Brüssel, dass sie sich den Sanktionen gegen Moskau anschliessen. Serbiens Präsident Vucic weicht aus, vertröstet, verschleppt. Jetzt kommt Bundeskanzler Scholz nach Belgrad.
Unter Präsident Vucic entstand in Serbien ein kreml-freundliches Meinungsklima.
Unter Präsident Vucic entstand in Serbien ein kreml-freundliches Meinungsklima. - Darko Vojinovic/AP/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Fahnen an den Lampenmasten entlang der Belgrader Einzugsstrassen waren schnell gewechselt.

Das Weiss-Blau-Rot aus Russland verschwand, weil Aussenminister Sergej Lawrow wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine diese Woche keine Überflug-Erlaubnis von Serbiens Nachbarländern Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro bekam und seinen Besuch absagen musste. Nun hängt Schwarz-Rot-Gold: An diesem Freitag wird Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet. Das Fähnchen-Wechsel-Dich-Spiel könnte als Sinnbild stehen für Serbiens Aussenpolitik unter Präsident Aleksandar Vucic.

Das Balkanland verhandelt seit 2014 über einen Beitritt zur EU und will bei der nächsten Erweiterungsrunde Berücksichtigung finden. Zugleich unterhält es freundschaftliche Beziehungen zu Russland und China - zwei autoritär regierten Ländern mit mehr als gespanntem Verhältnis zum Westen. Von Russland bekommt Serbien relativ billiges Gas. Als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verhindert Moskau zudem, dass das Kosovo - früher zu Serbien gehörend - volle internationale Anerkennung erlangt. Serbien beansprucht das heute fast ausschliesslich von Albanern bewohnte südliche Nachbarland für sich.

Brüssel verlangt Bekenntnis von Belgrad

Doch seit Russland die Ukraine bekriegt - mehr als drei Monate inzwischen schon -, verlangen die westlichen Partner von Belgrad, Farbe zu bekennen. «Enge Beziehungen zum Regime von (Wladimir) Putin sind nicht mehr vereinbar mit dem Bau einer gemeinsamen Zukunft mit der EU», mahnte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell schon letzten Monat. «Neutral zu sein ist heute mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ein falsches Konzept.» Ohne Erfolg: Im Unterschied zu den anderen Staaten der Region macht Serbien bei den EU-Sanktionen weiterhin nicht mit.

Die Air Serbia fliegt mit ihren Linienmaschinen sogar in engerem Takt nach Moskau und St. Petersburg. Sanktionierte Politiker und Oligarchen haben in Serbien nichts zu befürchten. Lawrow war in Belgrad willkommen. Der Besuch scheiterte nur daran, dass die Nachbarländer seinem Flugzeug die Nutzung ihres Luftraums verwehrten. Lawrow hätte das wissen müssen - weshalb sich die Vermutung aufdrängt, dass sich der Russe auf ein abgekartetes Spiel einliess, um sich über den «bösen Westen» empören zu können.

«Wir haben es nicht leicht in den westlichen Metropolen», klagt auch Serbiens Präsident Vucic. Der Druck steige, die Sanktionen zu übernehmen, auch auf ihn persönlich. «Aber wir müssen die Interessen unseres Landes schützen, auch wenn es unangenehm ist.» Quasi als Belohnung erhielt der 52-Jährige beim jüngsten Telefonat mit Putin die Zusage, für weitere drei Jahre billiges Gas aus Russland beziehen zu können. Ein Importstopp für russisches Gas ist überhaupt kein Thema.

Doch das Problem liegt tiefer. Als machtbewusster Nationalist hat Vucic in den zehn Jahren, die er schon Serbiens Politik bestimmt, Stimmung für Russland und gegen den Westen gemacht. Die serbischen Ableger russischer Propaganda-Medien, aber auch die von Vucic-Leuten kontrollierte Presse haben ein kreml-freundliches Meinungsklima erzeugt. Umfragen zufolge sind nur noch 40 Prozent der Serben für den Beitritt zur Europäischen Union. 80 Prozent sprechen sich dagegen aus, Russland mit Sanktionen zu bestrafen.

Vucic will es sich nicht mit der EU verscherzen

Vucic ist jedoch Pragmatiker genug, dass er es sich mit dem Westen nicht verscherzen will. Einige von ihm abhängige Boulevardblätter dürfen sich gelegentlich russlandkritisch äussern. Energieministerin Zorana Mihajlovic, die dem pro-westlichen Flügel seiner Partei SNS nahesteht, meidet den Begriff «Sanktionen», aber sagt: «Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um Mitglied der EU zu werden. Das bedeutet sicherlich auch, dass wir innerhalb eines gewissen Zeitrahmens bestimmte Massnahmen übernehmen.»

Letztlich versucht Vucic, mit seiner Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland weiter durchzukommen. Zu dieser Einschätzung gelangte auch der Auswärtige Dienst der EU in einem vertraulichen Papier, über das Radio Free Europe diese Woche berichtete. Dessen Fazit: Vucic werde «mit einer Politik der kleinen Schritte Serbien näher an den Westen heranführen». «Ziel ist es, den endgültigen Bruch mit Russland hinauszuzögern und mit künftigen aussenpolitischen Manövern so viele politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu erwirken wie nur möglich.»

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