Im EU-Parlament verlieren die Christdemokraten und Sozialdemokraten nach ersten Prognosen die Mehrheit. Grüne und Rechte legen hingegen deutlich zu.
Europawahl in Bayern
Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen mit Luftballons und einer Europaflagge auf den Streben einer Brücke. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Aktuell laufen die Europawahlen – die ersten Prognosen sind nun veröffentlicht.
  • Grüne und Rechte legen etwa in Deutschland und Frankreich deutlich zu.
  • Die konservativen Volksparteien haben es hingegen europaweit schwer.

Die Europäische Volkspartei (EVP) büsste laut einer Prognose bei der Europawahl am Sonntag rund ein Fünftel ihrer Mandate ein. Da auch die Sozialdemokraten kräftig Federn lassen mussten, verloren die beiden grössten Fraktionen ihre gemeinsame, absolute Mehrheit im Parlament.

Laut einer Prognose des EU-Parlaments, die noch vor Schliessung der letzten Wahllokale veröffentlicht wurde, erhielt die konservative Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, 178 der 751 Mandate im Europaparlament.

Die EVP mit ihrem deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) büsste demnach 38 Sitze ein und damit etwa ein Fünftel ihrer Mandate. Auch die Sozialdemokraten verloren kräftig: Sie kommen laut Prognose auf 147 Sitze - 38 weniger als bislang.

Drittstärkste Kraft dürften die Liberalen werden. Von der sechst- zur viertstärksten Kraft rückten die Grünen auf, die in Deutschland ein Rekordergebnis erzielten und in Frankreich überraschend auf den dritten Platz kamen. Deutliche Zuwächse verbuchte die rechtspopulistische Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF). Sie hatte zuletzt 36 Mitglieder, jetzt sind es laut Prognose 57.

Somit ist es wahrscheinlich, dass die Christdemokraten und Sozialdemokraten keine Mehrheit in den 28 EU-Staaten mehr bilden können. Das wäre das erste Mal, dass die EVP und S&D keine Koalition stellen könnten. In dem Fall müssen sich andere Partner finden lassen.

Frankreich, Portugal, Spanien, Deutschland und Italien

Eine Gewinnerin des Wahlabends war die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen. Ihre Partei Rassemblement National (RN, die frühere Front National) wurde laut Hochrechnungen mit mehr als 23 Prozent stärkste Kraft.

Macrons Liste um die Regierungspartei La République en Marche (LREM) landete mit gut 22 Prozent nur auf dem zweiten Platz. Le Pens Partei sprach von einer «Ohrfeige» für Macron und forderte Neuwahlen und rief zur Bildung einer «mächtigen Gruppe» im Europaparlament auf.

Le Pen will mit der AfD und anderen Rechtspopulisten, Europafeinden und Nationalisten ein neues Bündnis namens «Europa des gesunden Menschenverstandes» (Europe of common sense) schmieden, das den europäischen «Eliten» den Kampf angesagt hat.

Der neuen Allianz soll auch die Lega-Partei von Italiens Innenminister Matteo Salvini angehören, die bei der Wahl am Sonntag mit um die 30 Prozent stärkste Kraft wurde.

Marine Le Pen
Marine Le Pens Partei hat die Präsidentenpartei in Frankreich bei der Europawahl überholt. - Keystone

In Spanien sind die regierenden Sozialisten die stärkste Kraft. Danach würden sie 18 Sitze im EU-Parlament erhalten. Das sind vier mehr als bisher. Die konservative Volkspartei würde demnach elf bis zwölf Sitze erhalten. Die rechte Vox käme auf vier bis fünf Abgeordnete.

Für Union und SPD in Deutschland endete die Europawahl mit einem Debakel. Besonders hart straften die Wähler am Sonntag die SPD ab, die Hochrechnungen zufolge mit 15,5 Prozent auf Platz drei hinter den Grünen landete.

Diese wurden mit knapp 21 Prozent erstmals bei einer bundesweiten Wahl zweitstärkste Partei. Die Union verlor ebenfalls deutlich, behauptete aber mit knapp 29 Prozent ihre Stellung als stärkste Kraft.

Die Grünen legen den Prognosen zufolge auf 20,5 bis 22,0 Prozent zu - etwa eine Verdoppelung gegenüber der Europawahl vor fünf Jahren (10,7 Prozent). Die AfD kommt auf 10,5 Prozent. Die Linke liegt bei 5,5 Prozent, die FDP ebenfalls bei 5,5 Prozent. Auf andere Parteien entfielen laut ARD-Prognose 13,0 Prozent.

In Portugal haben die regierenden Sozialisten bei der Europawahl am Sonntag ersten Prognosen zufolge einen klaren Sieg errungen. Nach den vom staatlichen Fernsehsender RTP veröffentlichten Zahlen erhielt die Sozialistische Partei (PS) von Ministerpräsident António Costa 30 bis 34 Prozent der Stimmen. Bei Bestätigung dieser Zahlen würde die PS acht oder neun der 21 Europaabgeordneten Portugals im Europäischen Parlament stellen

Platz zwei belegte demnach die konservativ orientierte Sozialdemokratische Partei (PSD) mit 20 bis 24 Prozent und fünf bis sechs Mandaten vor dem marxistischen Linksblock, der auf neun bis zwölf Prozent und zwei bis drei Mandaten kommt.

Gemäss einer Nachwahlbefragung des Senders RAI Uno gewinnt die rechte Lega von Innenminister Matteo Salvini (Bild) die Europawahlen in Italien.

Die Lega holt zwischen 27 und 31 Prozent der Stimmen. Der sozialdemokratische Partito Democratico kommt auf zwischen 21 und 25 Prozent. Das Movimento 5 Stelle, das mit der Lega eine Regierungskoalition bildet, holt zwischen 18,5 und 22,5 Prozent.

Sebastian Kurz wurde in Österreich massiv gestärkt

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist unmittelbar vor einem geplanten Misstrauensantrag im Parlament massiv gestärkt worden. Laut Trendprognosen hat seine konservative ÖVP einen fulminanten Sieg bei der Europawahl eingefahren – sie kommt auf 34,9 Prozent. Das sind 7,9 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2014.

Der ehemalige Koalitionspartner, die rechte FPÖ, erreicht 17,2 Prozent – ein Minus von 2,5 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014.


Die sozialdemokratische SPÖ erreicht 23,4 Prozent, ein leichtes Minus von 0,6 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Die Grünen kommen mit 13,5 Prozent nahe an ihr historisch bestes Ergebnis von 2014 heran, als 14,5 Prozent erhielten. Die liberalen Neos liegen erneut bei 8 Prozent.

Schweden, Dänemark, Finnland, Rumänien und Bulgarien

In Schweden haben sich die Sozialdemokraten als stärkste Kraft behaupten können (23,6 Prozent), aber die rechtspopulistischen Schwedendemokraten stehen vor starken Zugewinnen.

Grosser Gewinner sind die Rechtspopulisten mit einem Plus von 5,7 Prozentpunkten auf 15,5 Prozent. Sie dürften – ebenso wie die Moderaten, die vor ihnen mit 16,8 Prozent zweitstärkste Kraft wurden – einen Sitz im EU-Parlament hinzugewinnen.

Die Grünen, vor fünf Jahren noch hinter den Sozialdemokraten zweitstärkste Kraft, müssen mit Verlusten von 3,8 Prozentpunkten klarkommen - ausgerechnet im Heimatland der Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie kommen auf 11.4 Prozent.

In Dänemark hat die rechtspopulistische Dänische Volkspartei im Vergleich zu ihrem Rekordergebnis von 26.6 Prozent bei der letzten EU-Wahl mehr als 15 Prozentpunkte eingebüsst.

Nun droht ihr der Verlust von drei ihrer vier Sitze im EU-Parlament, wie aus Zahlen des dänischen Rundfunks DR nach Auszählung fast aller Stimmen hervorging. Demnach wird die liberale Venstre-Partei von Regierungschef Lars Løkke Rasmussen mit ihrem wohl besten Ergebnis bei einer EU-Wahl überhaupt stärkste Kraft.

Auch in Finnland bleiben die Rechtspopulisten laut vorläufigen Zahlen hinter den Erwartungen zurück. Die Partei Die Finnen kam nach Auszählung von 100 Prozent der Stimmen auf 13.8 Prozent und lag damit hinter Konservativen, Sozialdemokraten und Grünen nur auf Rang vier.

Grosser Gewinner waren die Grünen: Sie legten um 6.7 Prozentpunkte zu und kamen somit auf 16,0 Prozent und Rang zwei hinter der konservativen Sammlungspartei.

In Rumänien haben die regierenden Sozialdemokraten (PSD) nach Wählerbefragungen die Europawahl verloren. Laut Prognosen der Meinungsforschungsinstitute Curs und Avantgarde vom Sonntag kommt die PSD auf 25,8 Prozent der Wählerstimmen, während drei miteinander konkurrierende Oppositionsparteien zusammen 65,7 Prozent erreichen.

In Bulgarien ist die bürgerliche Regierungspartei GERB von Ministerpräsident Boiko Borissow laut ersten Trendprognosen klarer Sieger bei der Europawahl. Die zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehörende GERB erhielt nach Angaben von zwei Meinungsforschungsinstituten (Alpha Research und Gallup International) zwischen 32,7 und 30,5 Prozent der Stimmen, wie das Staatsfernsehen BNT am Sonntag berichtete. Die oppositionellen Sozialisten kamen demnach auf 23,2 bis 25,4 Prozent, gefolgt von der Partei der türkischen Minderheit DPS mit 13,6 bis 12,8 Prozent.

Polen, Ungarn, Zypern, Niederlanden und Grossbritannien

Die regierende PiS-Partei ist laut den Prognosen bei den Europawahlen die stärkste Kraft in Polen. Sie kommt laut der Umfrage auf etwa 42,4 Prozent. Die Europäische Koalition kommt auf 39,1 Prozent.

In Ungarn ist die Fidesz-Partei mit Abstand stärkste Kraft. Laut einer Umfrage des Instituts Nezopont kommt die Partei von Ministerpräsident Viktor Orban auf etwa 55 Prozent (2014: 51 Prozent) der Stimmen. Die Ergebnisse beruhen auf der Auszählung von 99,9 Prozent der Stimmen.

Die konservative zyprische Demokratische Gesamtbewegung DYSI hat die Europawahl mit 29 Prozent gewonnen. Im Vergleich zu 2014 haben sie deutliche Stimmverluste erlitten. Die linke Partei AKEL ist die zweitstärkste Partei. Sie hat, sowie schon 2014, 27 Prozent erreicht.

In den Niederlanden wurde am Donnerstag gewählt. Laut Befragungen liegen dort überraschend die Sozialdemokraten vorne.

In Grossbritannien liegt die EU-feindliche Brexit-Partei ersten Ergebnissen zufolge mit 31,5 Prozent vorne. Die konservativen Tories der zurückgetretenen Premierministerin Theresa May fielen demnach auf 7,5 Prozent zurück.

Das meldete die BBC am Sonntagabend nach der Auszählung von gut zehn Prozent der Stimmen. Die Konservativen kamen damit auf den fünften Platz nach den pro-europäischen Liberaldemokraten, der Labour-Partei und den Grünen. Mit einem Endergebnis wurde erst im Laufe des Montags gerechnet.

Griechenland, Kroatien und Irland

In Griechenland sind laut Prognosen die Konservativen die stärkste Kraft. Die Partei Nea Dimokratia (ND) hat laut dem griechischem Staatsrundfunk «ERT» rund 32 Prozent der Stimmen.

Der aktuelle Ministerpräsident Alexis Tispras hat deshalb vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt. Grund dafür sei das schlechte Abschneiden seiner linken Regierungspartei Syriza bei der Europawahl, sagte er bei einer Pressekonferenz in Athen.

Statt wie ursprünglich vorgesehen im Oktober könnten die Wahlen damit bereits Ende Juni stattfinden. Syriza kam bei der Europawahl einer Umfrage der wichtigsten privaten Fernsehsender zufolge lediglich auf 25 Prozent der Stimmen und lag damit weit hinter der konservativen Oppositionspartei Nea Demokratia mit 33.5 Prozent.

In Kroatien hat die konservative Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) gewonnen. Nach Angaben der staatlichen Wahlkommission kam sie auf 23 Prozent der Stimmen und errang fünf von elf Mandaten.

Die oppositionelle SDP (Sozialdemokraten) kam auf 18 Prozent der Stimmen und drei Mandate. Die restlichen Mandate verteilen sich auf Kleinparteien.

In Irland haben die Grünen einer Nachwahlbefragung zufolge erstmals seit 20 Jahren den Einzug ins EU-Parlament geschafft. Die Partei dürfte dort auf drei der 13 erhältlichen Sitze kommen, wie eine am Samstag veröffentlichte Erhebung von RTE-TG4 RED C ergab. Insgesamt besteht das Europäische Parlament aus 751 Sitzen.

Höchste Beteiligung seit 20 Jahren

Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl war nach Angaben des EU-Parlaments voraussichtlich die höchste «seit mindestens 20 Jahren», sagte ein Sprecher der Volksvertretung.

Demnach lag sie laut Prognosen für die 27 Mitgliedstaaten ohne Grossbritannien bei rund 51 Prozent. Für alle 28 Länder wurde ein Wert zwischen 49 und 52 Prozent erwartet.

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