Im Jahr 2019 ordnete das Waadtländer Kantonsgericht die Rückführung eines Kindes nach Thailand. Laut dem Europäischen Gerichtshof war das gesetzeskonform.
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Justitia - AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Mutter entführte das Kind nach einer Scheidung in die Schweiz.
  • Doch ein Jahr später ordnete das Waadtländer Kantonsgericht eine Rückführung an.
  • Laut dem Europäischen Gerichtshof hat die Schweiz damit nicht gegen das Recht verstossen.

Die Schweiz hat nicht gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstossen. Dies, indem sie die Rückkehr eines damals siebenjährigen Mädchens nach Thailand angeordnet hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil entschieden.

Das Kind war von seiner Mutter nach einer Scheidung entführt und in die Schweiz zurückgebracht worden. Die Eheleute, eine Schweizerin und ein Franzose, hatten 2012 eine Tochter bekommen. Im Jahr darauf zogen sie nach Thailand, wo die Frau ein Haus mit zwei Wohnungen besass. Das Paar trennte sich 2014.

Die Ehefrau reichte 2017 in Thailand die Scheidung ein, weil sie ihren Mann des sexuellen Missbrauchs der gemeinsamen Tochter verdächtigte. Da sie den Ausgang des Scheidungsverfahrens fürchtete, kehrte sie im Frühjahr 2018 zusammen mit dem Kind in die Schweiz zurück. Dort erneuerte sie ihren Scheidungsantrag und beantragte, dass ihr das Sorgerecht zugesprochen wird.

Wohl des Kindes an erster Stelle

2019 ordnete das Waadtländer Kantonsgericht die Rückführung des Kindes nach Thailand an. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid später.

Die Rückführung des Kindes stelle einen Eingriff in das Recht der Mutter und der Tochter auf Achtung ihres Familienlebens dar. Dies sagte das EGMR in seinem Urteil. Diese Massnahme sei jedoch im Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vorgesehen, das in die Schweizer Rechtsordnung integriert sei. Im vorliegenden Fall verfolge das Übereinkommen das Ziel, die Rechte und Freiheiten des Kindes und des Vaters zu schützen.

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Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. - Wikimedia

Die Strassburger Richter erinnerten daran, dass in einer solchen Situation das Wohl des Kindes und insbesondere der Ausschluss einer ernsthaften Gefahr Vorrang vor allen anderen Erwägungen haben. In diesem speziellen Fall hätten die Schweizer Gerichte die Sicherheit des Mädchens und die finanzielle Situation der Mutter gründlich geprüft.

Zu keinem Zeitpunkt, betonte das Gericht, sei eine Rückkehr des Kindes allein in Betracht gezogen worden. Die Mutter hatte stets angegeben, dass sie ihre Tochter gegebenenfalls begleiten würde. Zudem habe diese in der Schweiz keine so engen Beziehungen aufgebaut, dass eine Rückkehr nach Thailand nicht verlangt werden könne.

Kein ausreichendes Urteilsvermögen

Schliesslich stellten die Strassburger Richter fest, dass ihre Schweizer Kollegen ohne Willkür zu dem Schluss gekommen seien, dass die finanzielle Situation der Mutter es ihr erlaube, sich um ihre Tochter zu kümmern, und dass sie in Thailand keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten habe. Im Übrigen hätten sich die Behörden in diesem Land für die Sicherheit dieses Kindes und die Ausübung seiner Rechte verbürgt.

Auch wenn die Sichtweise des Kindes berücksichtigt werden müsse, habe das Bundesgericht angesichts des jungen Alters des Kindes von dessen Meinung abweichen können. Die zahlreichen konsultierten Stellen und Experten kamen zu dem Schluss, dass das Kind nicht über ein ausreichendes Urteilsvermögen verfügte, um zwischen dem Wohnen in Thailand und dem Wohnen bei oder in der Nähe ihres Vaters zu unterscheiden.

Noch konnte das Mädchen verstehen, dass es in dem Verfahren nicht um ihr Sorgerecht oder die elterliche Sorge ging, sondern um die Wiederherstellung der Situation vor ihrem unrechtmässigen Umzug.

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