Nach Freitagspredigt: Türkische Frauen befürchten Kopftuch-Pflicht
Das türkische Religionsamt forderte am Freitag, dass Frauen «ihre Keuschheit und Sittsamkeit» bewahren sollen. Türkinnen befürchten nun eine Kopftuch-Pflicht.

Das Wichtigste in Kürze
- Erdogans Religionsamt liess am Freitag eine landesweite Predigt vortragen.
- Unkeusche Kleidung verstosse gegen Allahs Gebot und sei verboten, hiess es darin.
- Türkische Frauen befürchten nun eine staatliche Kopftuch-Pflicht.
Eine Predigt am vergangenen Freitag liess Türkinnen landesweit aufschrecken, wie «SRF» berichtet.
«Das Tragen von kurzen Kleidungsstücken und durchsichtiger Kleidung verstösst gegen Allahs Gebot, den Körper zu bedecken, und ist verboten». Das liess das staatliche Religionsamt während eines Gebets vortragen.
«Kleidung, die den Körper zeigt oder seine Konturen betont, ist keine Geschmacksfrage. Sondern ein Verstoss gegen die Gebote Gottes», hiess es weiter.
Enge Kleidung oder entblösste Arme und Beine gelten nach den Worten des Propheten als nackt. In rund 90'000 Moscheen liess man verlesen, dass Frauen «ihren Blick senken und ihre Keuschheit und Sittsamkeit bewahren» sollen.
Hält Erdogan sein Versprechen?
Bei seiner Wahl vor 23 Jahren machte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Türken ein Versprechen. Er wolle niemandem seinen Glauben, Lebensstil oder seine Kleidung vorschreiben.
Die Predigt vom Freitag war ausschliesslich an die männlichen 95 Prozent der Zuhörenden gerichtet. Sie forderte die Männer der Familien mit einem verschlüsselten Aufruf auf, die Herrschaft zu übernehmen.
Frauenrechtlerin wehrt sich
Die islamische Frauenrechtlerin Berrin Sönmez (64) wehrte sich gegen diesen Aufruf und legte aus Protest ihr Kopftuch ab. Sie werfe es «dem Religionsamt vor die Füsse», erklärte sie dem unabhängigen Internetsender Media Scope.

Kurz nach der Predigt kam es in Istanbul zu einem tätlichen Angriff auf eine Frau, die kurze Hosen trug. Das geschehe ihr recht, wenn sie halb nackt herumlaufe, kommentierte ein Politiker aus Erdogans AKP-Partei den Vorfall.
Die Botschaft der Regierung sei klar: «Die Männer sollen wieder die Macht in der Familie übernehmen. Und die Ergebnisse sehen wir in der Gesellschaft», sagte Sönmez gegenüber «SRF».
Weiter erklärte sie, das staatliche Religionsamt sei ein Propagandainstrument der Regierung. Die Frauenrechtlerin befürchtet, dass der Staat damit eine Kopftuchpflicht verbreiten möchte: «Ich habe immer gesagt, das würde in der Türkei nie geschehen. Aber ich glaube, jetzt steht es kurz bevor.»