Der Mord an dem prominenten Journalisten de Vries schockte die Niederlande. Die Täter kommen nun vor Gericht. Es gibt eine Fülle an Beweisen. Doch wer steckte wirklich hinter der Bluttat?
Peter R. de Vries
Peter R. de Vries galt als kompromissloser Kämpfer gegen die Kriminalität. - Peter Dejong/AP/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Schüsse fallen mitten in Amsterdam.

Es ist der 6. Juli 2021, etwa 19.30 Uhr. Auf der Lange Leidsedwarsstraat bricht ein Mann zusammen, zwei Kugeln trafen ihn in den Kopf. Es ist der prominente Crime-Reporter Peter R. de Vries.

Neun Tage später erliegt er im Alter von 64 Jahren seinen schweren Verletzungen. Der Mord trifft die Niederlande wie eine Schockwelle und macht vielen auf brutale Weise klar, wie stark der Würgegriff des organisierten Verbrechens ist. Premier Mark Rutte spricht von «einem Anschlag auf den freien Journalismus ... auf den Rechtsstaat.»

Nun, knapp ein Jahr nach der Bluttat, wird den beiden mutmasslichen Tätern ab Dienstag (7. Juni) der Prozess gemacht. Doch es trifft vermutlich nur Handlanger. An die Stelle des Schocks trat eine bittere Einsicht: Die wirklichen Drahtzieher kriegt man nicht.

Drogenbande soll hinter dem Anschlag stehen

Es gibt kaum einen Zweifel: Der Reporter wurde Opfer einer brutalen Drogenbande. Und die beiden Angeklagten führten wohl nur einen Auftrag aus. Sie waren kaum eine Stunde nach der Tat auf der Autobahn gefasst worden. Der Pole Kamil E. (36) mit Wohnsitz in Maurik im Südosten des Landes soll das Fluchtauto gefahren, der Rotterdamer Delano G. (22) geschossen haben.

«Wir haben starke Beweise gegen die beiden Verdächtigen», sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Mara van den Berg. Im Fluchtauto, einem Renault Kadjar, waren zwei Waffen gefunden worden. Eine Maschinenpistole und eine umgebaute Signalpistole, die Tatwaffe. Dazu gibt es DNA-Beweise, Kamerabilder, Fingerabdrücke, Zeugenaussagen. «Und es gibt sogar einen Augenzeugen der Tat.»

Im Auto wurden auch Handys mit verschlüsselten Botschaften gefunden, Dokumente der Kaltblütigkeit, der Gewissenlosigkeit. Angehörige des Reporters und Freunde waren zutiefst entsetzt, als die Staatsanwaltschaft ihnen die Texte vorlegte.

Die beiden Männer kommunizierten der Anklage zufolge auf polnisch und niederländisch mit einem Unbekannten. Er hatte am Tag des Anschlags Fotos von Peter R. de Vries geschickt: «Diesen Hund müsst ihr haben.» - «Ich mach das solo», soll Delano G. geantwortet haben. «Ich finish das.» Nach dem Mord schickte er Berichte an den Unbekannten.

Wer ist NN-*4229?

Schon Tage vorher sollen beide Männer am Tatort gesehen worden sein, vermutlich um die Lage auszukundschaften. Es war bekannt, dass der Reporter nach den Aufnahmen der TV-Show im Studio ganz in der Nähe zu Fuss zu seinem Auto in einer Garage ging - ohne Personenschutz.

Doch wer war dieser Unbekannte, der in den Prozessakten nur mit dem Code NN-*4229 angedeutet wird? Und ist er der Drahtzieher?

Die beiden Angeklagten schweigen dazu. Delano G. sagt gar nichts, und Kamil E. beteuert, dass er nichts mit der Sache zu tun habe. «Ich hab keinen tot gemacht, und ich hab keine Waffe gesehen», sagte er bei einer vorbereitenden Sitzung aus. Er sollte nur jemanden von Rotterdam nach Amsterdam bringen und wieder abholen. Doch die Ermittler sind davon überzeugt, dass der breitschultrige Pole schon über seine auffälligen Tätowierungen auf den Kamerabildern zu identifizieren ist.

«Geölte Mordmaschine»

Vieles deutet darauf hin, dass der Mord auf das Konto der international berüchtigten Drogen-Bande des marokkanischen Niederländers Ridouan Taghi (44) geht. Ihm wird zur Zeit mit 16 anderen in Amsterdam der Prozess gemacht wegen mehrerer Morde und Mordversuche. Die Anklage spricht von einer «geölten Mordmaschine».

«Jeder, der auspackt, muss schlafen», ist ein bekannter Spruch von Taghi. Schlafen heisst Töten im Jargon. Doch einer hat ausgepackt. Nabil B. wurde Kronzeuge gegen Taghi. Dafür wurde schon 2018 sein Bruder ermordet, ein Jahr später sein Anwalt, und dann Peter R. de Vries, er war Vertrauensperson von Nabil B..

De Vries verzichtete auf Personenschutz

Der Reporter war sehr geschätzt als kompromissloser Kämpfer gegen das Verbrechen. Aber damit stand er auch im Fadenkreuz. Und doch lehnte er Personenschutz ab. «Einer Kugel mit deinem Namen darauf kannst du nicht ausweichen», hatte er gesagt. Doch warum nicht andere Sicherheitsmassnahmen getroffen worden waren, ist eine der grossen offenen Fragen. Zu lange haben die Niederlande nicht wahrhaben wollen, dass sie einer der grössten Umschlagplätze harter Drogen sind, und damit Einsatzgebiet des organisierten Verbrechens.

Bei dem Prozess geht man kein Risiko ein: Alle 88 Zeugen bleiben anonym. Auch die Namen der Staatsanwälte dürfen nicht genannt werden. Die Angst vor weiteren Anschlägen ist gross. Denn jetzt weiss man, diese Banden schrecken vor nichts zurück.

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