Der frühere Nato-Chef warnt nicht zuletzt wegen Nord Stream 2 vor aus Russland gesteuerten Desinformationskampagnen. Ein Werkzeug bei der Verbreitung von Fake News sind dabei die sozialen Netzwerke.
Anders Fogh
Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen spricht im Kanzleramt während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel. Foto: picture alliance / dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rechnet mit grösseren Einmischungsversuchen anderer Länder bei der Bundestagswahl im September.

«Es besteht ein sehr hohes Risiko der Wahleinmischung, nicht zuletzt von Russland, weil eine Menge auf dem Spiel steht», sagte der frühere dänische Ministerpräsident der Deutschen Presse-Agentur in Kopenhagen. Auch Chinas Interesse an den Geschehnissen in Deutschland nehme zu.

Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigten, dass kein Land in der EU so erbittert und häufig mit Falschinformationen angegriffen werde wie die Bundesrepublik, sagte der Gründer der Demokratie-Organisation Alliance of Democracies. Seit Ende 2015 seien mehr als 700 solcher Versuche zur Beeinflussung der Meinung in Deutschland registriert worden - mehr als in Frankreich, Italien und Spanien zusammen.

Russlands besonderes Interesse an Deutschland begründe sich unter anderem im Streit um die Gas-Pipeline Nord Stream 2, sagte Fogh Rasmussen. Die in Umfragen starken Grünen etwa gehörten zum Lager der Russland-Skeptiker und seien tendenziell gegen die Pipeline. «Und natürlich ist es für Russland wichtig, zu versuchen, das Wahlergebnis zu beeinflussen, damit es weiter eine Mehrheit für positive Russland-Politik geben wird.»

Die Bundestagswahl sei über die deutschen Grenzen hinaus von grosser Bedeutung, machte der Däne klar. Deutschland sei ein Schwergewicht in Europa und aus seiner Sicht der wichtigste Mitgliedstaat der EU. Während es sich um eine deutsche Wahl und eine deutsche Entscheidung handele, werde dies Konsequenzen für ganz Europa haben.

Anders Fogh Rasmussen war von 2001 bis 2009 dänischer Regierungschef und im Anschluss bis 2014 Nato-Generalsekretär. 2017 gründete der heute 68-Jährige die Alliance of Democracies, die zu Wochenbeginn den vierten Kopenhagener Demokratie-Gipfel veranstaltet hatte. Ein zentrales Thema der Konferenz war diesmal auch die Beeinflussung von Wahlen durch Desinformationen und Fake News.

Es bestehe kein Zweifel daran, dass Versuche zur Verbreitung falscher Informationen im Zuge von Wahlen quantitativ zugenommen hätten, sagte Fogh Rasmussen der dpa. «Das ist nicht nur eine Wahrnehmung, sondern eine Realität.» Während solche Kampagnen durch die Debatte über die russische Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl 2016 ins öffentliche Bewusstsein gerückt seien, handele es sich um kein neues Phänomen. «Wir haben das auch während des Kalten Krieges gesehen. Das neue Phänomen sind aber die sozialen Medien, die ermöglichen, Fake News und Desinformation im Allgemeinen in hohem Tempo zu verbreiten.» In der Corona-Krise habe sich dieser Trend weiter verstärkt.

Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook hätten eine Verpflichtung, falsche Profile zu löschen und Fake News zu stoppen, sagte der Ex-Nato-Chef. Er warnte jedoch davor, zu sehr in die Redefreiheit einzugreifen. «Ich halte die freie Meinungsäusserung für das kostbarste Bürgerrecht, das wir haben. Und es ist immer sehr schwer, zwischen einer politischen Meinung und Fake News zu unterscheiden.»

Das zeige sich etwa am Beispiel Donald Trump. Dem Ex-US-Präsidenten zu verbieten, seine Ansichten auf Twitter und zumindest vorübergehend auf Facebook zu verbreiten, halte er auf lange Sicht für einen sehr riskanten Ansatz - auch wenn er grundsätzlich ganz anderer Meinung als Trump sei. Letztlich müsse man aber die freie Meinungsäusserung erlauben und den Menschen beibringen, zwischen Falschinformationen und abweichenden Ansichten unterscheiden zu können. «Es liegt in der individuellen Verantwortung jedes Einzelnen, sich des Risikos der Desinformation bewusst zu sein und Social-Media-Nachrichten immer mit kritischen Augen zu betrachten», sagte Fogh Rasmussen.

Auf dem ersten Kopenhagener Demokratie-Gipfel 2018 hatten Fogh Rasmussen und seine Mitstreiter - darunter der heutige US-Präsident Joe Biden - die Transatlantische Kommission für Wahlintegrität ins Leben gerufen. Diese setzt sich gegen die Beeinflussung von Wahlen ein und bietet Kandidatinnen und Kandidaten bei der Bundestagswahl wie zuvor auch bei anderen Wahlen an, ein Bekenntnis zu bestimmten Prinzipien im Kampf gegen Einmischung von aussen zu unterzeichnen.

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