Deshalb passieren Amokläufe häufig an Schulen – Experte ordnet ein
Der Amoklauf an einer Grazer Schule erschütterte am Dienstag die Welt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Bildungsinstitution getroffen wird – weshalb?

Das Wichtigste in Kürze
- Ein 21-jähriger Ex-Schüler beging am Dienstag an einer Grazer Schule einen Amoklauf.
- Es ist nicht das erste Mal, dass eine solche Tat an einer Bildungsinstitution geschah.
- Kriminologe Dirk Baier sieht «negative Gefühle» als möglichen Grund.
Am Dienstag erschütterte die Nachricht eines Amoklaufs an einer Grazer Schule die Welt. Ein junger Mann (†21) tötete elf Menschen, darunter auch sich selbst. Der Täter war ein ehemaliger Schüler an der Schule.
Besonders auffällig: Wenn von Amokläufen die Rede ist, fallen nicht selten die Wörter Schule oder Universität. Erst im April eröffnete ein 20-jähriger Student an der Florida State University das Feuer und tötete zwei Personen.
Im Dezember des letzten Jahres ereignete sich an einer Schule in Wisconsin ein Amoklauf. Die mutmassliche Täterin, die zwei Menschen und sich selbst erschoss, war gerade einmal 15 Jahre alt.
Negative Gefühle können Auslöser sein
Doch weshalb passieren Amokläufe oft gerade an Bildungsinstitutionen? Nau.ch hat bei Kriminologe und Soziologe Dirk Baier nachgefragt.
Schulen seien für junge Menschen ein Lebensmittelpunkt, so Baier. «Hier verbringen sie viel Zeit, erfahren viel Positives, aber eben auch Kränkungen, Übergriffe, Mobbing. Schulen sind für manche Menschen mit sehr negativen Gefühlen verbunden.»
Ihre Wut, ihr Hass richte sich gegen die Institution. Deshalb würden sie unter bestimmten Umständen diesem Hass in der Form eines Amoklaufs Ausdruck verleihen.

Der Experte fügt hinzu: «Amokläufer sehen sich immer auch in der Tradition anderer Amokläufer. Da sehr bekannte Amokläufe wie Columbine oder Erfurt an Schulen erfolgten, fokussieren sich Junge mit solcher Absicht ebenfalls auf Schulen.»
Einen weiteren Punkt sieht der Experte darin, dass gerade an Schulen viele Opfer erreicht werden könnten. Amokläufer würden gerne mit einem «grossen Knall» abtreten.
Die Ursachen sind individuell
Baier beruhigt: «Es sind nur sehr wenige Menschen, die zu solch einer Tat neigen.» Der Anteil derer, die schon mal eine Amok-Phantasie hatten, sei sicherlich sehr viel grösser. Fast niemand setze solch eine Fantasie in die Tat um.
Warum das bei einigen wenigen Menschen der Fall sei, könne nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Ursachen seien individuell unterschiedlich.
Was man aber wisse: «Die Erfahrung von Mobbing oder das Vorliegen einer psychischen Erkrankung stehen nicht mit dem Begehen von Amokläufen in Zusammenhang.» Über den Zusammenhang dieser zwei Merkmale werde nämlich gerne spekuliert.
Den Weg hin zu einer Amoktat müsse man sich als Prozess vorstellen.
Die Motive der Amoktäter könne man meist nicht verlässlich ermitteln. Dies, weil sie sich entweder selbst getötet haben oder im Zuge der Tat getötet wurden.
Wissenschaftlich interessanter als Motive seien daher Ursachen von Amoktaten. «Und dabei gibt es nie nur eine Ursache: Es gibt auslösende Bedingungen, persönliche Merkmale wie beispielsweise eine Gewaltaffinität, psychische Zustände oder situative Umstände.»
Werden junge Menschen immer gefährlicher?
Besonders beängstigend an dem Fall in Graz und den oben genannten Taten in den USA: Die Täterin oder Täter waren allesamt sehr jung. Bedeutet dies, dass die jungen Leute immer gefährlicher werden?
Dirk Baier meint: «Den Eindruck kann man bekommen, insofern in den Medien immer wieder gerade über spektakuläre Gewalttaten berichtet wird. Berikon und Oensingen sind zwei jüngere Beispiele aus der Schweiz.»
Grundsätzlich könne man aber sagen, dass in den letzten Jahren «keine signifikante Gewaltzunahme bei jungen Menschen» zu verzeichnen sei. Junge Menschen werden also nicht gefährlicher.
Zweifellos seien Risiken schwerer Gewalt aber immer präsent: «Es kann niemand ausschliessen, dass auch in der Schweiz ein Amoklauf stattfindet», so Baier.
Der Experte rät: «Wichtig ist, dass Schulen alles dafür tun, sich für die persönliche Situation ihrer Schülerinnen und Schüler zu interessieren.»