Ein Netzwerk in der Türkei soll Menschen mithilfe von grauen Dienstpässen nach Deutschland schmuggeln. Dies ergeben die Recherchen von Journalisten.
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Flaggen von Deutschland und der Türkei. - dpa/dpa/picture-alliance/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Zahlreiche Menschen sollen visafrei aus der Türkei nach Deutschland gereist sein.
  • Dies sei laut dem Journalisten Ismail Saymaz mithilfe von Dienstpässen möglich gewesen.
  • Das türkische Parlament hat einen Antrag zur Aufklärung der Affäre abgelehnt.

Eine Affäre um mutmasslichen Menschenschmuggel nach Deutschland im Zusammenhang mit türkischen Dienstpässen nimmt weitere Ausmasse an. Die grösste Oppositionspartei CHP in der Türkei verlangte am Mittwoch Aufklärung über den Vorgang - ein entsprechender Antrag wurde aber im Parlament abgelehnt. Dort hat die Regierungspartei AKP mit der ultranationalistischen MHP eine Mehrheit.

Der Journalist Ismail Saymaz, der zu dem Fall recherchiert, sagte im Online-Medium Medyascope, es handele sich um ein Netzwerk mit Zentrum im osttürkischen Bingöl, das Menschen mithilfe von Dienstpässen nach Deutschland schmuggele.

Reisende setzen sich in Deutschland ab

Zwischen den Jahren 2019 und 2020 seien systematisch Menschen nach Deutschland gebracht worden. Dies etwa aus den Provinzen Bingöl, Elazig, Malatya und Mus. Ein Betroffener sagte der Habertürk-Journalistin, Sevilay Yilman, er schätze, dass alleine aus Bingöl zwischen 450 und 500 Menschen mithilfe der Pässe nach Deutschland gereist seien und sich abgesetzt hätten.

Türkische Medien hatten berichtet, dass im vergangenen Jahr 45 Menschen aus der osttürkischen Provinz Malatya mithilfe von Dienstpässen visafrei nach Deutschland gereist waren und davon nur zwei in die Türkei zurückkehrten. Die von der AKP geführte Bezirksverwaltung Yesilyurt soll für die Ausstellung der Pässe gesorgt haben.

Anlass der Reise war demnach ein Umweltprojekt in Hannover. Gegen eine Person, der als «Schein-Einlader» fungiert haben soll, war in Hannover in dem Zusammenhang Anklage erhoben worden. Die türkischen Behörden hatten am Dienstag Ermittlungen gegen sechs sowohl von der Regierungspartei AKP als auch von der Opposition geführte Gemeinden eingeleitet.

Aufenthaltsorte der Eingereisten nicht bekannt

Aus dem Bundesinnenministerium hiess es am Mittwoch, die Bundespolizei stehe in dem Fall in Kontakt mit den türkischen Behörden. Es liefen Ermittlungen wegen Schleusertätigkeit und unerlaubter Einreise. Wo sich die Eingereisten heute aufhielten, sei grösstenteils nicht bekannt. Zur Zahl der Menschen, die auf diese Weise nach Deutschland gelangt waren, machte das Ministerium keine Angaben.

Mit dem grauen Dienstpass können unter anderem Beamte reisen. Gemeinden in der Türkei können die Pässe aber auch für Personen beantragen, die keine Staatsbedienstete sind. In dem Fall muss die Reise im Rahmen einer Zusammenarbeit mit einer Nichtregierungsorganisation im Ausland erfolgen.

Netzwerk hilft bei Ausstellung der Pässe

Nach Recherchen der Journalisten Saymaz und Yilman funktionierte die Organisation der Reisen meist nach demselben Prinzip. Das Netzwerk sei auf die Gemeinden zugegangen und habe diese darum gebeten, bei der Ausstellung der Pässe behilflich zu sein. Dazu wurden Einladungen aus Deutschland etwa zu Umwelt- oder Kulturveranstaltungen besorgt.

Diese sollen Firmen wie etwa die von dem in Hannover Angeklagten ausgestellt haben. Oft handele es sich auch um Scheinfirmen. Als Gegenleistungen seien Zuwendungen an die Gemeinde geflossen. Von Ankara eingesetzte Provinzgouverneure müssen die Ausstellung der Pässe in der Regel bewilligen.

Keine grauen Pässe mehr für Nicht-Staatsbedienstete

Die Reisenden zahlten nach türkischen Medienberichten für die Pässe zwischen 6000 und 8000 Euro pro Person und wurden mit dem Bus nach Deutschland gebracht. Die Ausstellung von grauen Dienstpässen für Nicht-Staatsbedienstete haben die türkischen Behörden inzwischen ausgesetzt.

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