Nach ihrem Erfolg 2017 muss die Alternative für Deutschland bei dieser Bundestagswahl zurückstecken. Doch dabei zeigt sich ein drastisches West-Ost-Gefälle.
Alice Weidel und Tino Chrupalla, AfD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Foto: Sebastian Kahnert/dpa/Archivbild
Alice Weidel und Tino Chrupalla, AfD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Foto: Sebastian Kahnert/dpa/Archivbild - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Fünf Prozent in Hamburg, knapp 25 Prozent in Sachsen: Bei der AfD zeigt sich die Republik geteilt.

Insgesamt ging es bei der Bundestagswahl abwärts für die Rechtspartei um die Spitzenleute Alice Weidel und Tino Chrupalla.

Bundesweit kommt sie nur noch auf 10,3 Prozent - 2017 waren es noch 12,6 Prozent. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen - überall ein Minus und einstellige Werte. In Sachsen und Thüringen schafft es die Partei indes mit rund einem Viertel der Stimmen auf Platz eins, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf Platz zwei. Wird die AfD eine «Lega Ost»?

Den Vergleich zur früheren rechtspopulistischen Regionalpartei Lega Nord in Italien zog AfD-Chef Jörg Meuthen am Wahlabend selbst. «Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir im Westen genauso erfolgreich sein wie im Osten», sagte Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Er hoffe, dass dies jedem in der Partei bewusst sei. Die AfD dürfe eben nicht zur «Lega Ost» werden.

In Italien hatte der Vorsitzende Matteo Salvini die Lega ja bewusst zur landesweiten Partei umgeformt. «Wenn wir den Weg umgekehrt gingen, dann wäre das der Inbegriff des Törichten», sagte Meuthen am Tag nach der Wahl in Berlin. «Wir müssen einen gesamtdeutschen Auftritt haben.»

Mehr Programmtreue gefordert

Sein Co-Chef Chrupalla, der sein Direktmandat in Sachsen verteidigte, sieht die Sache anders herum: Angesichts der starken Werte fast überall im Osten ist er mit der Bundestagswahl insgesamt zufrieden. Er sprach von einem «sehr stabilen Ergebnis». Co-Spitzenkandidatin Weidel sagte, dass sie sich das Ergebnis «nicht schlecht reden lasse, von niemandem». 16 Direktmandate gewann die Partei, alle im Osten.

Von den erfolgreichen AfD-Landesverbänden gingen auch prompt Mahnungen Richtung Westen. Nötig sei mehr Programmtreue, sagte der thüringische Co-Parteichef Stefan Möller der dpa. Es wäre «gut, wenn man vom Osten lernt». Denn, so sagte es der AfD-Chef in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt, der dpa: «Wir sind hier im Osten klar Volkspartei geblieben.» Die AfD könne nicht als blosse Protestpartei abgetan werden, ihr würden auf vielen Feldern Kompetenzen zugeschrieben.

Das sehen Experten ähnlich. Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer hatte schon vor der Wahl vorausgesagt, die Stärke der AfD in Ostdeutschland werde von Dauer sein. «Die AfD hat sich auch organisatorisch in einzelnen Milieus und Gruppen festgesetzt, auch in Betrieben», sagte der Professor der TU Dresden. Als Kümmerer vor Ort präsentiere sich die Partei. Und sie sei auch unter jungen Leuten gefragt. «Da wachsen neue Wähler nach», sagte Vorländer. Bei den U-18-Wahlen von Kindern und Jugendlichen vorige Woche lag die Partei in Sachsen und Thüringen vorn.

Skepsis, Ernüchterung, Ungleichheit

Die Partei profitiert von Staatsskepsis, Demokratie-Ernüchterung und wirtschaftlicher Ungleichheit in den östlichen Bundesländern. «Die AfD wird gewählt von Bürger/innen, die neben der Merkel-Regierung auch die Kanzlerkandidaten kritisch sehen, die zur Klimapolitik, zu Corona-Massnahmen oder zu Ausländern sehr eigene Ansichten haben und für die die AfD eine Kommunikationsplattform ist», analysierte die Forschungsgruppe Wahlen am Sonntag.

Chrupalla sprach von einem Angebot an die «bürgerliche Mitte», die AfD sei «in keinster Weise eine rechtsradikale Partei». Das aber sehen nicht nur Verfassungsschützer anders. In Thüringen wird die als extremistisch eingestufte Partei beobachtet. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warnt ausdrücklich vor der AfD. Deren starkes Ergebnis sei Auftrag zum verstärkten Kampf gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, erklärte der Zentralrat am Sonntag.

Der Rechtsaussen-Flügel der Partei um den thüringischen Landeschef Björn Höcke setzt gezielt auf Polarisierung. Sein Co-Landeschef Möller sagte, ein zentraler Grund für den Erfolg im Land sei, dass man «kompromisslos für die eigene Linie» eintrete. «Wir sprechen Dinge an, für die wir von den anderen verdroschen werden.» Die Beobachtung durch den Thüringer Verfassungsschutz sei direkte Folge davon. «Aber das wird von den Leuten honoriert», meinte Möller.

Experte: AfD kann stärkste Kraft im Osten werden

Diese völkische Strömung werde in der AfD an Einfluss gewinnen, sagte der Rechtsextremismusexperte und Soziologe Matthias Quent der dpa in Erfurt. Höcke habe jetzt «Rückenwind für die innerparteilichen Machtkämpfe gegen Jörg Meuthen».

Der Höcke-Flügel argumentiert seit langem, der Zuspruch im Osten sei ein Beleg dafür, dass die AfD mit noch grösserer Abgrenzung zu anderen Parteien bessere Ergebnisse erzielen könne. Das gemässigte Lager um Meuthen hält dagegen, im Westen sei damit nichts zu gewinnen. Ein Erfolgsrezept für die westlichen Bundesländer hat aber auch er nicht parat. Im parteiinternen Gerangel sitzt Meuthen längst nicht mehr fest im Sattel.

Höcke steckt sich dagegen bereits neue Ziele. Nach dem Wahlsieg bei der Bundestagswahl in Thüringen soll die AfD dort auch bei der nächsten Landtagswahl ganz vorn liegen. Soziologe Quent hält das nicht für aussichtslos. «Man muss sich in Ostdeutschland darauf einstellen, dass die AfD stärkste Kraft wird.»

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