Prozess gegen Bolsonaro ist historisch
Der Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro ist gestartet. Er markiert einen historischen Einschnitt in der Rechtssprechung des Landes.

Gestern begann in Brasilien ein Gerichtsverfahren von historischer Tragweite. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes steht ein ehemaliger Präsident wegen des Vorwurfs eines versuchten Staatsstreichs vor Gericht.
Jair Bolsonaro, der 70-jährige ehemalige Staatschef, muss sich gemeinsam mit sieben Mitangeklagten vor dem Obersten Bundesgericht verantworten, so die «FAZ». Die Anklage wirft ihm vor, nach seiner Wahlniederlage 2022 systematisch versucht zu haben, die demokratische Ordnung zu untergraben.
Das Verfahren markiert einen Wendepunkt für Brasiliens junge Demokratie, die erst 1985 nach dem Ende der Militärdiktatur wiederhergestellt wurde. Niemals zuvor wurden hochrangige Militärs oder ein Ex-Präsident wegen Angriffen auf die demokratischen Institutionen zur Rechenschaft gezogen.
Die schwerwiegenden Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Bolsonaro
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Bolsonaro, bereits seit 2021 an einer umfassenden Strategie für einen Umsturz gearbeitet zu haben. Gezielt sollen Falschnachrichten über einen angeblichen Wahlbetrug verbreitet worden sein, um das Vertrauen in das Wahlsystem zu untergraben.
Nach der verlorenen Präsidentschaftswahl gegen Luiz Inácio Lula da Silva sollte ein Notstandsdekret das Wahlergebnis aufheben und Neuwahlen anordnen. Bolsonaro soll im Dezember 2022 sogar ein Treffen mit den Befehlshabern der Streitkräfte einberufen haben, berichtet die «Tagesschau».

Die Ermittlungen ergaben ausserdem Hinweise auf Mordpläne gegen Lula, dessen Vizepräsidenten und Verfassungsrichter Alexandre de Moraes. Von diesen extremen Vorhaben soll Bolsonaro Kenntnis gehabt haben, ohne sie zu verhindern.
Richter de Moraes und die Verteidigung der Demokratie
Bundesrichter Alexandre de Moraes, der das Verfahren leitet, bezeichnete die Ereignisse laut «N-TV» als Versuch zur Errichtung einer «echten Diktatur». Er betonte, dass das Gericht die Aufgabe habe, unparteiisch zu urteilen und sowohl inneren als auch äusseren Druck zu ignorieren.
De Moraes machte deutlich, dass eine Straflosigkeit für solche Taten neue Putschversuche ermutigen würde. Die Geschichte lehre, dass Straflosigkeit, Untätigkeit und Feigheit nicht zu einer Befriedung führten.

Der Richter steht selbst im Zentrum internationaler Spannungen, nachdem die US-Regierung unter Donald Trump persönliche Sanktionen gegen ihn verhängt hatte. Dennoch kündigte er an, seine Arbeit unbeirrt fortzusetzen.
Internationale Einmischung und politische Spannungen
Die Trump-Regierung hat dem «Guardian» zufolge mit beispiellosen Massnahmen versucht, das Verfahren zu beeinflussen. Zölle auf brasilianische Waren und Sanktionen gegen Richter de Moraes sollen Druck auf die brasilianische Justiz ausüben.
Diese Intervention wird von Experten als schwerwiegende Einmischung in die inneren Angelegenheiten Brasiliens bewertet. Sie zeigt den Schulterschluss der globalen Rechten und die Bemühungen, Bolsonaros politische Karriere zu retten.
Präsident Lula nutzt diese Angriffe geschickt, um sich als Verteidiger brasilianischer Souveränität zu positionieren. Seine Popularitätswerte steigen, während die Unterstützung für Bolsonaro in Umfragen sinkt.
Die historische Bedeutung des Urteils
Das Verfahren bricht mit einer beschämenden Tradition Brasiliens, putschende Präsidenten und Generäle nicht zu verfolgen. Erstmals werden die Verantwortlichen für einen Angriff auf die Demokratie zur Rechenschaft gezogen.
Historiker bewerten den Prozess als historisch für Brasilien, das dem «Guardian» zufolge über ein Dutzend Putschversuche seit 1889 erlebt hat. Die Tatsache, dass die Institutionen standhalten und Gerechtigkeit durchsetzen, wird als Zeichen der Reife der brasilianischen Demokratie gewertet.

Das Urteil könnte Brasilien jedoch auch weiter spalten: 38 Prozent der Bevölkerung glauben laut Umfragen, das Verfahren sei politisch motiviert. Die Entscheidung wird voraussichtlich bis zum 12. September fallen und das Land vor den Präsidentschaftswahlen 2026 prägen.