Darum sind Juden aktuell besonders gefährdet
Antisemitische Angriffe nehmen weltweit zu. Terror-Experte Hans-Jakob Schindler erklärt, warum der Hass längst losgelöst von Gaza ist.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Terror-Attacke am Bondi Beach erschüttern Australien und die ganze Welt.
- Zwei Islamisten schiessen auf Juden – 16 Menschen sterben, viele werden verletzt.
- Die Zahl der Attacken auf Jüdinnen und Juden ist in den letzten zwei Jahren explodiert.
- Woher kommt dieser Hass auf Juden? Ein Experte ordnet für Nau.ch ein.
In Kanada und Frankreich brennen Synagogen. In Deutschland explodiert die Zahl von antisemitischen Attacken. In den USA werden jüdische Einrichtungen versprayt.
In der Schweiz gab es 2024 elf tätliche Angriffe auf Juden. In Davos GR etwa schlugen zwei Asylsuchende aus Nordafrika im August einen jüdischen Touristen ins Gesicht.
Und nun das Massaker am Bondi Beach in Australien. Zwei Islamisten feuerten auf jüdische Familien, die gemeinsam Chanukka feiern wollten. 16 Menschen starben.
Nach einem Überfall auf Juden stieg der Antisemitismus an
Keine Frage: Die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden ist in den letzten Jahren massiv angestiegen.
Konkret seit dem 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Gaza-Krieges. Paradox: Auch damals, beim Überfall der Hamas auf grenznahe israelische Gebiete, wurden Juden angegriffen und getötet.

Über die heftige Reaktion von Israel auf den Hamas-Terror vom 7. Oktober kann man geteilter Meinung sein. Kritik an der rechtsgerichteten Regierung von Benjamin Netanjahu ist berechtigt.
Doch das Attentat in Australien zeigt nun erneut: Neben Kritik gibt es auch Hass und Gewalt, die sich nicht nur an Regierung oder Unterstützer der Gaza-Angriffe richten. Sondern an Jüdinnen und Juden grundsätzlich.
Woher kommt dieser Hass?
Situation im Nahen Osten nicht der einzige Faktor
Er sagt zu Nau.ch: «Der rasante Anstieg antisemitischer Vorfälle in Europa, Nordamerika und Australien ist eng mit der Situation im Nahen Osten verbunden.»
Gleichzeitig warnt er vor einer gefährlichen Vereinfachung. «Diese Entwicklung lässt sich nicht mit einem einzigen Faktor erklären.»
Besonders aufschlussreich sei der Zeitpunkt: Antisemitische Demonstrationen und Angriffe begannen am 7. Oktober 2023 selbst. Noch bevor Israel militärisch reagierte.
«Das war ein klares Zeichen», so Schindler. «Teile des extremistischen Milieus haben diese Situation als Gelegenheit verstanden, ihre Ideologien offen auf die Strasse zu tragen.»
Eine zentrale Rolle spiele die Propaganda der Hamas. Der Terroranschlag sei nicht nur militärisch vorbereitet gewesen, sondern auch kommunikativ. Ziel: eine Täter-Opfer-Umkehr.
Und die ging teilweise auf. «Die Hamas war sehr erfolgreich darin, ihr Narrativ in den internationalen Diskurs zu tragen», sagt Schindler.
Auch Terrornetzwerke wie Al-Qaida und der IS hätten den Konflikt genutzt, um neue Anhänger zu radikalisieren.
Brisant sei zudem eine Entwicklung, die bisher wenig beachtet werde: neue Allianzen zwischen Islamisten, Linksextremisten und Teilen der rechtsextremen Szene.
Judenhass normalisiert sich in erschreckendem Tempo
«Das vergrössert den Kreis radikalisierter Personen massiv», warnt Schindler. Und damit auch das Risiko für antisemitische Gewalt.
Parallel dazu habe sich Judenhass in erschreckendem Tempo normalisiert. Vor allem online.
«Hasserfüllte und extremistische Inhalte erzeugen mehr Engagement – und werden von Algorithmen gezielt verstärkt», erklärt Schindler.

Die Moderation der grossen Plattformen habe dabei «in den letzten zwei Jahren fast komplett versagt».
So werde aus Kritik an Israels Regierung immer öfter blanker Judenhass. Unter dem Schlagwort Antizionismus würden Jüdinnen und Juden weltweit für die Politik Jerusalems verantwortlich gemacht.
«Das ist an sich schon ein antisemitisches Narrativ», sagt Schindler. Noch radikaler sei der Slogan «From the River to the Sea», der Israel das Existenzrecht abspreche.
Antisemitische Parolen werden akademisch diskutiert
Erschreckend: Solche Positionen hätten inzwischen sogar Einzug in akademische Debatten gehalten.
Schindler: «Es wird mit zum Teil absurden Argumenten eine komplette Opfer-Täter-Umkehr vorgenommen. Die Existenz Israels wird als alleinige Grundlage des Konfliktes postuliert.»
Das Resultat ist paradox und bitter: Nach einem islamistischen Terroranschlag leben Juden weltweit unsicherer.

Militärisch sei die Terrorgruppe unterlegen, politisch und propagandistisch habe sie jedoch viel erreicht: die internationale Isolation Israels. Und die wachsende Feindseligkeit gegenüber Juden ausserhalb des Landes.
Selbst nach der Beruhigung der Lage im Nahen Osten sinkt die Gewaltbereitschaft nicht spürbar. «Das zeigt, dass sich antisemitische Narrative von den aktuellen Ereignissen losgelöst haben», sagt Schindler.
Einzelverfolgung von Tätern löst das Problem nicht
Antisemitismus sei längst ein eigenständiges Sicherheitsproblem.
Sein Fazit ist klar: Antisemitismus müsse als eigene Form von Extremismus behandelt werden. Staaten dürften sich nicht darauf beschränken, einzelne Täter zu verfolgen.
Und auch die Tech-Giganten müssten endlich handeln. «Für die Verbreitung antisemitischer Narrative sind soziale Medien von fundamentaler Bedeutung», sagt Schindler.
Dass sich Plattformen hier weiter aus der Verantwortung stehlen, sei «nicht mehr hinnehmbar».
Die unmittelbare Gefahr für Jüdinnen und Juden würde damit zwar nicht gebannt. Aber immerhin das Verbreiten der antisemitischen Narrative erschwert.
Denn sie sind der Ursprung für den grassierenden Judenhass. Und für die Gefahr, in der Jüdinnen und Juden in Europa, Nordamerika und Australien derzeit leben müssen.



















