Nach monatelanger Pandemie keimt in Europa neue Hoffnung auf. Ab Sonntag soll es in den meisten EU-Staaten mit den ersten Impfungen losgehen. Der Sieg über das Coronavirus ist das aber noch nicht.
EMA empfiehlt erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU. Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa
EMA empfiehlt erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU. Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Deutschland und die anderen EU-Staaten rüsten sich für den Start der Impfkampagne gegen das Coronavirus.

Nach der bedingten Zulassung ihres Impfstoffs in der EU kündigten die Mainzer Firma Biontech und der US-Pharmariese Pfizer am Montagabend (21. Dezember) an, die Auslieferung werde sofort beginnen.

In Deutschland soll es am Sonntag mit den Impfungen losgehen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Biontech-Chef Ugur Sahin zeigten sich zuversichtlich, dass der Impfstoff auch gegen die in Grossbritannien entdeckte neue Mutation des Virus wirkt.

Wirksamkeit wohl nicht beeinträchtigt

Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Wahrscheinlichkeit dafür hoch, sagte Sahin der Deutschen Presse-Agentur. «Wir haben den Impfstoff bereits gegen circa 20 andere Virusvarianten mit anderen Mutationen getestet. Die Immunantwort, die durch unseren Impfstoff hervorgerufen wurde, hat stets alle Virusformen inaktiviert.» Spahn sagte im ZDF, alle Erkenntnisse deuteten im Moment darauf hin, dass die Wirksamkeit bei der neuen Variante nicht beeinträchtigt sei. «Und das wäre natürlich eine sehr, sehr gute Nachricht.»

Die EU-Kommission hatte dem Biontech-Pfizer-Präparat am Montag die bedingte Marktzulassung erteilt. Wenige Stunden zuvor hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam die bedingte Zulassung des Corona-Impfstoffes empfohlen. Dem Start von Massen-Impfungen in der EU steht somit nichts mehr im Wege. Zugleich sorgt aber die neue Virus-Variante für Unruhe, die sich vor allem in London und Südostengland rasant ausbreitet und die von den britischen Behörden als besonders aggressiv eingestuft wird.

Biontech-Impfstoff in USA, Kanada und Grossbritannien

Unter anderem in Grossbritannien, den USA und Kanada ist der Impfstoff von Biontech und Pfizer bereits zugelassen. Im Vereinigten Königreich wurden nach Angaben von Premierminister Boris Johnson in den vergangenen beiden Wochen bereits mehr als 500.000 Menschen geimpft. «Das ist ein Grund zur Hoffnung und zur Zuversicht», sagte Johnson in London. «Wir können uns ab Ostern auf eine ganz neue Welt freuen.»

In den USA erhielten am Montag die ersten Menschen den Impfstoff des US-Unternehmens Moderna. Der künftige US-Präsident Joe Biden liess sich ebenso wie seine Frau vor laufenden Kameras impfen, allerdings bekamen beide die erste von zwei Spritzen mit dem Impfstoff von Pfizer und Biontech.

Auch in der EU soll es nun schnell gehen. «Die Lieferungen werden sofort beginnen und schrittweise im Laufe der Jahre 2020 und 2021 erfolgen, um eine gerechte Verteilung der Impfstoffe entsprechend der Vertragsbedingungen in der EU zu gewährleisten», teilten Biontech und Pfizer am Montagabend mit.

Deutschland soll am Samstag (26. Dezember) die erste Lieferung bekommen. Erwartet würden 151.125 Impfdosen, teilte die Berliner Senatsverwaltung mit, die zurzeit den Vorsitz der Länder-Gesundheitsministerkonferenz innehat. Spahn erklärte auf Twitter, bis Ende dieses Jahres sollten insgesamt mehr als 1,3 Millionen Impfdosen an die Bundesländer ausgeliefert werden. Im Januar würden dann jede Woche mindestens weitere 670.000 Dosen hinzukommen.

Pro Person sind zwei Impfungen vorgesehen. Als erstes sollen die über 80-Jährigen, Personal und Bewohner von Pflegeheimen sowie Gesundheitspersonal mit sehr hohem Infektionsrisiko geimpft werden. Nach den klinischen Studien gibt Biontech die Wirksamkeit des Impfstoffs mit 95 Prozent an.

So werden Nebenwirkungen überwacht

Für Fachleute ist ganz klar: Wenn ein Arzneimittel oder ein Impfstoff zugelassen wird, kann niemand jede denkbare Nebenwirkung kennen. Das ist auch im aktuellen Fall des Serums, das die Firmen Biontech und Pfizer gegen das Coronavirus entwickelt haben, nicht anders. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nennt zur Begründung, dass die klinische Erprobung eines Arzneimittels an einer relativ geringen Zahl von Teilnehmern erfolge. «Seltene oder sehr seltene unerwünschte Wirkungen, Wechselwirkungen oder andere Risiken im Zusammenhang mit der Arzneimittelanwendung können in klinischen Prüfungen üblicherweise nicht erkannt werden.»

Das Bundesgesundheitsministerium versichert allerdings in seiner Impfstrategie: «Nur Impfstoffe mit dem Nachweis einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz werden zugelassen und kommen in die Versorgung.» Es sei dennoch eine Überwachung im Rahmen der breiten Anwendung erforderlich, um potenzielle Risiken der Impfstoffe schnellstmöglich zu erfassen. Zuständig dafür ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.

Online-Plattform für sammelt Impfdaten

Das PEI setzt dabei auf Meldungen von Herstellern, Ärzten und Apotheken, aber auch direkt von Patienten und ihren Angehörigen. Für Bürger führt der einfachste Weg über die Online-Plattform «nebenwirkungen.bund.de», von wo die Informationen direkt an die zuständigen Behörden gehen. Zum Abschluss der Meldung erhält man eine elektronisch erzeugte Eingangsbestätigung, die alle Angaben zusammengefasst darstellt. Die darin enthaltene Bearbeitungsnummer dient eventuellen Rückfragen. Persönliche Daten können, müssen aber nicht angegeben werden.

Geplant ist zudem eine App, die solche Meldungen erleichtern soll. Sie soll nach Aussage von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Start der Impfungen in App-Stores erhältlich sein. Über die so erfassten Daten sollen «über ein Jahr die Häufigkeit und Schwere unerwünschter Ereignisse sowie Sars-CoV-2-Infektionen bei geimpften Erwachsenen nachverfolgt werden», heisst es in der Impfstrategie der Bundesregierung.

Laut PEI wird es die Möglichkeit geben, über die App an einer Beobachtungsstudie des Instituts teilzunehmen. Wer mitmacht, werde «mehrfach kontaktiert und um Angaben zu möglichen Reaktionen gebeten», teilte die PEI-Sprecherin mit.

Paul-Ehrlich-Institut wertet Meldungen aus

Hersteller, die eine Zulassung für ein Medikament oder einen Impfstoff bekommen haben, sind laut Arzneimittelgesetz verpflichtet, jegliche Informationen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen an die EudraVigilance-Datenbank weiterzugeben, die ihrerseits auch das in Deutschland zuständige PEI informiert.

Das PEI wertet alle Meldungen über vermutete Impfnebenwirkungen oder -komplikationen aus und veröffentlicht dazu detaillierte Berichte. Im Frühjahr 2020 wurde die jüngste Bilanz herausgegeben: «Im Jahr 2018 wurden 3570 Verdachtsfälle einer Impfkomplikation gemeldet. Es wurde kein neues Risikosignal für bisher unbekannte Nebenwirkungen durch die in Deutschland angewandten Impfstoffe im Jahr 2018 identifiziert.» Nachzulesen sind dort etwa die anonymisierten Details der Überprüfung von 22 Verdachtsfällen mit tödlichem Verlauf und 82 Fällen mit einem bleibenden Schaden nach Impfung. In keinem Fall wurde ein direkter Zusammenhang zwischen Impfung und gemeldetem Verlauf bestätigt.

Die Meldungen werden vom PEI zusätzlich an die Europäische Arzneimittelagentur EMA weitergeleitet, erläuterte die PEI-Sprecherin. Diese sammle Meldungen aus allen Mitgliedsstaaten und bilde so einen umfangreichen Datenpool, über den mögliche Risikosignale frühzeitig erkannt werden könnten.

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