«Reisen sollte mehr als Konsum sein»

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Österreich,

Die Reisejournalistin Maria Kapeller blickt selbst sehr kritisch auf die heutige Form des Reisens. Wir haben nachgefragt, was es damit auf sich hat.

Maria Kapeller Reisejournalistin
Reisejournalistin Maria Kapeller gibt Tipps, wie man nachhaltiger reisen kann. - Jasmin Walter Photography

Das Wichtigste in Kürze

  • Maria Kapeller (42) ist Reisejournalistin und betreibt das Reisemagazin «Kofferpacken».
  • In ihrem Buch blickt sie kritisch aufs Reisen.
  • In Salzburg hat sie ein Tourismusprojekt namens «Beyond the Postcard» ins Leben gerufen.
  • Wir haben Maria Kapeller gefragt, wie Reisen verträglicher geht.

Travelcontent: Frau Kapeller, warum reist der Mensch überhaupt?

Maria Kapeller: Weil er es kann – und weil es alle tun. Reisen ist zu einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit geworden. Es verspricht Erholung, Abenteuer, neue Perspektiven – und ja, auch ein Stück Status.

Doch oft steckt hinter dem Fernweh eine tiefere Sehnsucht: die Flucht aus einem Alltag, der uns zu wenig Raum lässt, wirklich wir selbst zu sein.

Travelcontent: Eine Flucht aus dem Alltag – inwiefern?

Maria Kapeller: Wir leben heute in Strukturen, die wenig «artgerecht» sind: Wir hetzen von Termin zu Termin, sitzen stundenlang vor Bildschirmen, haben kaum noch Kontakt zur Natur.

Reisen wird dann zur Gegenbewegung – ein Befreiungsschlag raus aus Lärm, Druck und Routine. Für viele ist es das letzte Stück vermeintlicher Freiheit, in dem sie durchatmen und einfach sein dürfen.

Buchcover Lovely Planet
In ihrem Sachbuch «Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren» blickt Maria Kapeller kritisch aufs Reisen. - zVg

Travelcontent: Welche Aufgabe übernimmt das Reisen dadurch?

Maria Kapeller: Es kompensiert vieles, was im Alltag fehlt. Auf Reisen dürfen wir barfuss gehen, ausschlafen, nichts tun, den Moment geniessen. Das schenkt uns das Gefühl, wieder in Verbindung mit uns selbst zu stehen – selbstbestimmt und lebendig.

Doch eigentlich sollte dieses Gefühl auch im Alltag Platz haben.

Travelcontent: Heisst das, wir müssten weniger reisen?

Maria Kapeller: Erstens weniger und zweitens anders. Reisen ist etwas Wunderschönes – es erweitert den Horizont, verbindet Menschen, schafft Erinnerungen. Aber wir sollten aufhören, Erholung nur mit weiten Flügen oder exotischen Zielen zu verknüpfen.

Wer im Alltag regelmässig kleine Pausen und Momente der Ruhe findet, braucht keine Weltreise, um sich wiederzufinden.

Travelcontent: Der Tourismus hat aber auch Schattenseiten. Welche Umweltprobleme sind besonders gravierend?

Maria Kapeller: Allen voran die hohen Emissionen durch das Fliegen. Dazu kommen überbaute Landschaften, Müllberge, Wasserknappheit in Ferienregionen – und ein enormer Ressourcenverbrauch. Unsere Sehnsucht nach Entspannung hat längst ökologische Spuren hinterlassen.

Fliegen
Fliegen hat einen grossen Einfluss aufs Klima, oft wird das eigene Verhalten falsch eingeschätzt. - Keystone

Travelcontent: Und welche sozialen Folgen hat das Reisen?

Maria Kapeller: In vielen Regionen profitieren die Einheimischen kaum vom Tourismus. Stattdessen kämpfen sie mit steigenden Mieten, Überfüllung und Lärm.

Gleichzeitig bleibt Reisen für viele Menschen ein Privileg. Wer ein geringes Einkommen hat, in Armut lebt oder einen schwachen Reisepass besitzt, bleibt ausgeschlossen. Das zeigt, wie ungleich unsere Welt strukturiert ist.

Travelcontent: Warum bleibt nachhaltiges Reisen trotzdem eine Nische?

Maria Kapeller: Reisen bedeutet für viele Freiheit und Glück – niemand will sich das schlechtreden lassen. Zudem liegt das Problem nicht nur beim Individuum: Der gesamte Tourismus ist Teil eines globalen Wirtschafts- und Verkehrssystems.

Solange dieses auf Wachstum ausgerichtet ist, bleibt nachhaltiges Reisen eine Herausforderung.

Travelcontent: Was müsste sich verändern, damit Reisen wirklich verträglicher wird?

Maria Kapeller: Wir müssen an die Wurzeln gehen: umweltschädliche Mobilität reduzieren, soziale Ungleichheiten abbauen und Reichtum gerechter verteilen. Ideen wie ein weltweites CO2-Konto pro Person könnten helfen, Verantwortung fairer zu verteilen.

Ferien Familie
Wer bereits Strandferien macht, kann vielleicht auf den Pool verzichten. - Depositphotos

Travelcontent: Wie kann jede und jeder Einzelne beginnen, umzudenken?

Maria Kapeller: Zuerst mit Ehrlichkeit. Umweltfreundliches Reisen ist aktuell oft mit mehr Aufwand und Verzicht verbunden – aber auch mit mehr Bewusstsein.

Es beginnt mit der Frage: Was sind eigentlich meine Bedürfnisse? Vielleicht ist es Ruhe, Nähe, Natur – Dinge, die man auch vor der Haustür, im Nachbarkanton oder Nachbarland finden kann.

Travelcontent: Und praktisch? Wie reist man tatsächlich nachhaltiger?

Maria Kapeller: Indem man sich an den eigenen Werten orientiert. Vielleicht ist der Zug die bessere Wahl als das Flugzeug. Vielleicht reicht eine kleine Pension statt eines Ressorthotels.

Vielleicht verzichtet man auf den Pool, wenn man ohnehin am Meer ist. Und vor Ort: respektvoll begegnen, regional essen, fair bezahlen. Jede Entscheidung zählt.

Salzburg beyond Postcard
In Salzburg hat Maria Kapeller ein soziales Tourismusprojekt namens «Beyond the Postcard» ins Leben gerufen. - Siegrid Cain

Travelcontent: Warum ist es überhaupt so wichtig, dass sich unser Reiseverhalten ändert?

Maria Kapeller: Weil wir sonst das zerstören, was uns am Herzen liegt. Wenn immer mehr Menschen die gleichen Orte besuchen, kippt das Gleichgewicht – ökologisch, sozial und kulturell.

Wenn wir massvoller reisen, können wir das bewahren, was uns berührt: die Schönheit der Welt, ihre Vielfalt, ihre Stille.

Travelcontent: Sie selbst haben 2024 in Salzburg 2024 ein soziales Tourismusprojekt namens «Beyond the Postcard» ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?

Maria Kapeller: Wir machen Reisende darauf aufmerksam, dass es auch in einer vermeintlich reichen Stadt wie Salzburg soziale Ungleichheit und Not gibt. Dafür haben wir am Gelände der wichtigsten Sehenswürdigkeit, der Festung Hohensalzburg, ein überdimensionales Kunstwerk in Form einer interaktiven Postkarte installiert.

Wir schaffen damit Bewusstsein und laden die Reisenden zum Spenden für lokale Sozialorganisationen ein. Sie können sozusagen ein kleines Gastgeschenk hinterlassen.

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Kommentare

User #4557 (nicht angemeldet)

Reisen um des Reisens Willen ist sinnlos und das Gegenteil von nachhaltig. Da können Sie noch soviel erklären. Es ändert nichts daran, dass sie Ressourcen verschwenden und die Umwelt schädigen.

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