Die Leuchttürme sichern einen gefährlichen Teil von Frankreichs Westküste. Viele sind für Besuche geöffnet. Auf- und Abstieg zwischen Himmel und Hölle.
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Die bretonische Westküste gilt als gefährliches Seegebiet und ist deshalb gespickt mit Leuchttürmen – wie diesem an der Landspitze Pointe Saint-Mathieu. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die West-Betragne im Norden Frankreichs gehört zu den gefährlichsten Seegründe Europas.
  • Aus diesem Grund steht hier mehr als ein Drittel der französischen Leuchttürme.
  • Dank entwickelter Technik ging der letzte Leuchtturmwärter vor zwei Jahren in Rente.
  • Heute sind die Türme faszinierende Zeichen vergangener Zeiten zwischen Himmel und Hölle.

An diesem warmen Spätsommerabend scheint die Sonne ins Meer geflossen zu sein. Hat Wasser, Felsen und Boote in Gold getaucht. Darüber kreisen Möwen wie niedliche Papierflieger, ihr Kreischen, ein säuselnder Chorgesang.

Hier, auf fast 60 Metern Höhe, scheint das südliche Finistère verzaubert. Finis terrae, das Ende der Welt, wie die Römer den westlichsten Teil der Bretagne nannten, gleicht einem friedlichen Meeresidyll.

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Im Zodiac geht es mit Christel und Lucky Perón (rechts oben) durch den Meeresnaturpark Marin d’Iroise. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn

«Dabei gehört dieses Gebiet zu den gefährlichsten Seegründen Europas», sagt Loïk Peton, Mitte 30, Meeresbiologe, der mit den Besuchern die 290 Stufen hinauf auf den Leuchtturm Phare d’Eckmühl an der Landspitze der Gemeinde Penmarc’h gestiegen ist.

Zahllose Seeleute ertranken, Schiffe sind an den Untiefen zerborsten, ihr Bug aufgeschlitzt von den messerscharfen Felsen.

Lichtorchester zur Sicherung der Seefahrt

Langsam bricht die Nacht herein. Rechts, links, geradeaus, wo man auch hinschaut: Immer mehr Leuchtfeuer blitzen weiss, rot, grün in der Ferne auf. Ein gigantisches maritimes Lichtorchester zur Sicherung der Seefahrt.

Lauter Solisten sind es aber, denn jeder Turm hat seine eigene Kennung, verrät mit seiner Lichtfarbe und dem individuellen Takt, wer er ist und wovor er bewahren will.

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Stufen führen durch ein für Leuchtturm-Verhältnisse äusserst elegantes Treppenhaus hinauf zum Phare d'Eckmühl. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn

Mehr als ein Drittel der französischen Leuchttürme steht an der bretonischen Westküste. Das hat seinen guten Grund. «Nul n’a passé Fromveur sans connaître la peur» (Niemand hat Fromveur je ohne Angst durchfahren), so heisst eine alte Seemannsweisheit.

Bis 1978 war die Passage du Fromveur, die nördliche Grenze des Iroise-Meeres, mit ihren Untiefen und Strömungen eine der wichtigsten und gleichzeitig eine der gefährlichsten Seerouten Europas.

Seit die Havarie des Tankers Amoco Cadiz in jenem Jahr zu einer Ölpest führte, müssen Frachter und Tanker die Enge umschiffen. Trotzdem birgt die klippenreiche Küste noch viele Risiken.

Das karge Mobiliar des Leuchtturmwärters

Dank moderner Technik sind heute nur noch wenige Menschen nötig, um die Systeme der Leuchttürme zu überwachen. Vor zwei Jahren ging der letzte Leuchtturmwärter der Bretagne in Rente.

Manch einer hält die Leuchtfeuer mittlerweile für überflüssig. Die vielen Fischer ohne Navigationssystem bleiben aber weiter auf sie angewiesen.

Am nächsten Abend hat dichter Nebel die Île d’Ouessant in kalte Watte gepackt. Das rund 16 Quadratkilometer grosse Eiland vor der Küste ist die westlichste Spitze Frankreichs.

Am Fuss des Phare du Stiff wartet Ondine Morin, auch sie Mitte 30. Ihre Schlüssel klappern in der Dunkelheit, die Tür zum ältesten Leuchtturm der Bretagne, Ende des 17. Jahrhunderts entworfen, öffnet sich.

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Lichtfarbe und Takt: Jeder Leuchtturm hat seine eigene Kennung, an der ihn Seefahrer zuordnen können – so auch der Phare du Stiff auf der Île d'Ouessant. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn

Die Granitröhre mit ihren 104 Treppen wirkt klamm und unwirtlich. Beim Aufstieg reibt rauer Stein an den Ärmeln, die Wände strahlen feuchte Kälte ab.

Im Zwischengeschoss fällt ein kurzer Blick auf das karge Mobiliar früherer Zeiten: Bett, Stuhl, Tisch, sonst nichts weiter. Von einem vergilbten Foto lächelt der letzte Wärter die Besucher schüchtern an.

Oben klatscht der Wind nasse Schleier ins Gesicht, prallt der Blick vor der undurchdringlichen Nebelwand zurück. Irgendwo tutet ein Nebelhorn.

Nur zwei verlorene Fensterlichter lassen sich in der Tiefe erahnen, schwache Laternen im graumilchigen Nichts. Darüber zucken alle paar Sekunden die roten Blitzlichter des Phare du Stiff vorbei.

Paradies und Hölle

«Hier war das Paradies», sagt Ondine plötzlich. «In einem Leuchtturm an Land konnten die Wärter bei ihrer Familie leben, in der freien Zeit Freunde treffen, am sozialen Leben teilnehmen», erklärt sie. «Dieses Privileg hatten ihre Kollegen mitten auf dem Meer nicht.»

Vor dem Paradies stand für die Männer der Gang durch die Hölle, französisch «l’enfer», wie hier die sturmumtosten Leuchttürme auf ihren Felsen mitten im Meer heissen.

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Vom Boot aus wird deutlich, wie schroff die Küste ist und wie hoch der Phare Saint-Mathieu über dem Meer steht. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn

Schweres Wetter liess den nach zwei Wochen anstehenden Schichtwechsel manchmal nicht zu. Dann ging es den Wärtern an die körperlichen und geistigen Reserven.

Als in einem Winter erst nach 101 Tagen die Erlösung kam, beschloss man, die Höllen fortan mit mindestens zwei Männern zu besetzen.

Auf der Île d’Ouessant ist der Besuch des Musée des Phares et Balises empfehlenswert, das Museum der Leuchttürme und Leuchtfeuer. Es liegt am Fusse des Phare du Créac’h.

Fast 800 Objekte erzählen vom mühsamen Bau der Türme, geben einfühlsam Einblick in den Alltag der Wärter.

Leuchtturm der schwarzen Felsen

Bei Sonnenaufgang scheint das Licht wieder rosig und zart durch Hortensienbüsche und Pinienkronen. Nur ein leiser grauer Schleier erinnert an den gestrigen Nebel. Auf dem welligen Meer vor Le Conquet spritzt die Gischt lustig über den Gummiwulst des Zodiacs.

Mit Christel und Lucky Perón, beide Ende 50, geht es durch den Meeresnaturpark Marin d’Iroise, vorbei an Kegelrobben und Delfinen, um nach dem Paradies die Hölle zu sehen.

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Früher wurden Orte wie dieser als «Hölle» bezeichnet: der Phare des Pierres Noires, der «Leuchtturm der schwarzen Felsen» vor der bretonischen Küste. - Gabriele Derouiche/dpa-tmn

Dann taucht er auf, der Phare des Pierres Noires. Der Leuchtturm der schwarzen Felsen, wie er übersetzt heisst, ist die Hölle vor der Pointe Saint-Mathieu, die die Einfahrt in die Bucht von Brest markiert.

Heute umschäumen den roten, rund 30 Meter hohen Turm auf dunklem Stein sanfte Wellen. Doch es braucht nicht viel Fantasie, um sich den Turm und die Gefühle der früheren Wärter bei rauer See vorzustellen.

Schon die Ankunft war ein Abenteuer. «Hier machte man die Stahlwinden fest», sagt Lucky und zeigt auf einen benachbarten Felsen.

Meist war das Meer so wild, dass das Boot nicht anlegen konnte. Dann wurden die Männer und ihr Proviant an Seilen auf den Turm gehievt.

Lucky drosselt den Motor, damit seine Gäste fotografieren können. Eine frische Brise kommt auf. Der Zodiac beginnt im Wellengang zu schaukeln. Die rote Hölle tanzt auf den wackelnden Displays. Einige werden bleich, lassen die Kamera sinken.

«Juste du courage, nur Mut», sagt Christel. «Heute ist das Meer gnädig.»

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