Betreutes Wohnen: Entlastung oder Belastung für Angehörige?
Betreutes Wohnen ist in vielen Familien ein umstrittenes Thema. Einige sehen eine Entlastung, andere eine emotionale Belastung darin. Eine Einschätzung.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Pflege eines älteren Menschen kann für Angehörige schwierig werden.
- Doch der Wechsel in ein betreutes Heim geht oft mit Schuldgefühlen einher.
Die Entscheidung für einen Umzug in eine Anlage für betreutes Wohnen wird nicht leichtfertig gefällt. Und nicht immer ist es die betroffene Person selbst, die den Umzug wünscht. Oft müssen Angehörige enorme Überzeugungsarbeit leisten, um die Person davon zu überzeugen, dass sie im betreuten Wohnen besser aufgehoben wäre. Dabei fällt auch ihnen die Entscheidung nicht leicht.
Der Beginn der Pflegebedürftigkeit
In der Regel besteht bereits ein geringer Grad an Pflegebedürftigkeit, bis ein Umzug in betreutes Wohnen erforderlich wird. Oft leben ältere Menschen noch selbstständig, benötigen jedoch Unterstützung bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten wie Putzen und Bügeln. Einkäufe und andere Besorgungen fallen ihnen zunehmend schwer und das Treppensteigen wird zur Belastung.

Hinzu kommen oft weitere Faktoren, wie eine steigende Sturzgefahr im nicht barrierefreien Badezimmer oder beginnende Demenz. Letztere kann dazu führen, dass beim Verlassen der Wohnung ein laufender Wasserhahn oder eine brennende Herdplatte vergessen wird.
Angehörige als tägliche Helferinnen und Helfer
Für Angehörige, die nicht im selben Haus wohnen, werden all diese Kleinigkeiten zur Belastung. Sie müssen fast täglich nach dem Rechten sehen. Sie übernehmen Einkäufe und andere Tätigkeiten, die aufgrund des Alters nicht mehr möglich sind.
Steigende Schwerhörigkeit kann beispielsweise dazu führen, dass Seniorinnen und Senioren keine Telefonanrufe mehr tätigen können. Dabei sind viele Stellen jedoch nur telefonisch zu erreichen.

Meist sind es die eigenen Kinder, die die Betreuung in dieser Zeit übernehmen. Dabei sind diese häufig bereits zuvor mehrfach belastet. Sie gehen einer Berufstätigkeit nach, müssen sich um den eigenen Haushalt kümmern und oft auch noch um die Kinderbetreuung kümmern.
Ein oder zwei tägliche Kontrollbesuche bei einer pflegebedürftigen Person können schnell zur Belastung werden. Hinzu kommt die ständige Sorge, dass etwas passieren könnte, während die Person auf sich allein gestellt ist.
Eine Studie der Universität Zürich aus dem Jahre 2024 belegt dies. Je länger Angehörige eine Person pflegen, desto stärker sinkt ihre eigene Lebenszufriedenheit. Auch bei ihnen nehmen Ängste, Einsamkeit und Depressionen zu. In der Fachsprache wird dieser Effekt als Caregiver Burden bezeichnet.
Betreutes Wohnen schafft Entlastung
Die Entscheidung für das betreute Wohnen entlastet somit auch die Angehörigen. Sie müssen sich nicht mehr täglich um die pflegebedürftige Person kümmern und haben wieder mehr Zeit für andere Dinge. Zudem entfällt die ständige unterschwellige Sorge um die allein lebende, pflegebedürftige Person. Sie wissen, dass im Notfall stets jemand zur Stelle ist, der professionelle Hilfe leisten kann.

Zudem fühlen sie sich nicht mehr schuldig, wenn sie der oft einsamen Person nicht öfter und länger Gesellschaft leisten können. Oft schlagen diese vor, gemeinsam eine Fernsehsendung zu schauen oder Karten zu spielen. Doch für die Pflegenden ist dies oft nicht möglich, da sie noch viele andere Dinge zu erledigen haben. In einer Anlage für betreutes Wohnen finden sich dagegen immer Mitbewohner für gemeinsame Aktivitäten.
Der Kampf mit den Schuldgefühlen
Viele Angehörige fühlen sich schlecht, wenn sie daran denken, der pflegebedürftigen Person betreutes Wohnen zu empfehlen. Dieses Gefühl ist besonders stark bei Angehörigen von Menschen mit Demenz verbreitet.

Eine Masterarbeit der Ostschweizer Fachhochschule hat ergeben, dass 80 Prozent der Menschen mit Demenz im privaten Umfeld betreut werden. Hinter diesem Wunsch stehen oft Schuldgefühle, die geliebte Person «abschieben» zu wollen.
Es ist deshalb besonders hilfreich, wenn die Entscheidung für betreutes Wohnen möglichst früh von der betroffenen Person selbst gefällt wird. So kann sie den Angehörigen versichern, dass sie den Umzug selbst wünscht. Das befreit die Angehörigen von belastenden Schuldgefühlen. Regelmässige Besuche sind ein weiterer wichtiger Faktor.