Karl De Smedt leitet die weltweit einzige Sauerteig-Bibliothek im belgischen St. Vith. Im Interview mit «panissimo» gibt er Auskunft über seine Leidenschaft.
Mann mit Sauerteig
«Die Mikrobiologie des Sauerteigs ist etwas Unglaubliches», sagt Karl De Smedt. - Swissbaker
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Das Wichtigste in Kürze

  • Karl de Smedt leitet eine Sauerteigbibliothek in St. Vith in Belgien.
  • Hier lagern in zwölf Grosskühlschränken 134 Sauerteige aus 25 Ländern.
  • Der Sauerteig ist seine Leidenschaft. Er hat Sauerteigbäcker in der ganzen Welt besucht.
  • Im Interview mit dem Magazin «panissimo» gibt er Auskunft über seine Leidenschaft.

Karl De Smedt nennt sich selbst «Der Sauerteig-Bibliothekar». Der Leiter der Weinheimer Brotakademie, Bernd Kütscher, bezeichnet ihn als den «Guru des Sauerteigs».

«panissimo» (Magazin des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbands) wollte mehr über ihn, seine Leidenschaft für Sauerteig und die Sauerteig-Bibliothek von Puratos in St. Vith (B) erfahren.

Wie sind Sie der Sauerteig-Bibliothekar geworden?

Karl de Smedt: Im Alter von zehn Jahren wusste ich bereits, dass ich Konditor werden wollte. Nach meiner Ausbildung zum Bäcker-Patissier-Chocolatier sowie Eis- und Süsswarenhersteller arbeitete ich sechs Jahre lang in einer Patisserie in Brüssel.

Ich hatte die Möglichkeit, diese zu kaufen, aber meine Frau wollte nicht, dass ich dieses Abenteuer eingehe. So arbeitete ich ab 1994 für Puratos.

Ich habe als Versuchsbäcker angefangen. Dabei hatte ich den ersten Sauerteig entdeckt. Er wurde von einem Kollegen aus San Francisco (USA) mitgebracht.

Mann mit zwei Sauerteigen
Der gelernte Bäcker-Patissier-Chocolatier Karl Der Smedt ist seit Jahren fasziniert von der Vielfalt der Sauerteige. Nr. 72 ist ein Sauerteig aus Mexiko, Nr. 74 stammt von der Bäckerei Arnold in Simplon-Dorf (VS). - Swissbaker

Nach 1½ Jahren Testbacken wurde ich bei Demonstrationen eingesetzt. Eine Mehlallergie veranlasste mich, meine Aktivitäten bei Puratos zu ändern.

Ich begann Schulungen für Mitarbeitende und Kunden zu geben.

2008 hatte ich die Gelegenheit, die Leitung des heutigen «Center for Bread Flavour» (Zentrum für Brotgeschmack) zu übernehmen.

Das ist ein Ort, den Bäcker aus der ganzen Welt besuchen, um mehr über Sauerteigfermentation zu erfahren.

Hier eröffneten wir 2013 auch die weltweit erste und einzige Sauerteig-Bibliothek. Wie Sie sehen können, war mein Arbeitsleben eine Kette von Zufällen und Ereignissen, die sich einfach ergeben haben.

Was sind Ihre Aufgaben als Sauerteig-Bibliothekar?

Karl de Smedt: Hauptsächlich jede Art von Fragen zu beantworten, die uns über Sauerteig gestellt werden. Ich bin zur Anlaufstelle geworden.

Ich glaube, deshalb werde ich auch «Guru des Sauerteigs» genannt. Zu meiner Arbeit gehört ausserdem das Suchen und Sammeln von verschiedenen Sauerteigsorten, um die Artenvielfalt in unserer Sauerteig-Bibliothek zu erhalten.

Zudem nehme ich an Konferenzen, Kongressen und Gipfeltreffen teil oder bin Jurymitglied von Wettbewerben. Ich unterrichte «Masterclasses» in Trainingszentren in den USA und in Singapur und bin immer noch an der Schulung von Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitenden von Puratos beteiligt.

Hin und wieder bekomme ich Anfragen von Medienschaffenden. Derzeit nehme ich aufgrund der Covid-Situation auch an Webinaren teil. Dazu kommen meine Aktivitäten auf den sozialen Medien für Personen, die Infos zum Sauerteig und zur Bibliothek wollen.

Sie haben Sauerteigbäcker in aller Welt besucht und gefilmt. Was war Ihre unge­wöhnlichste Begegnung?

Karl de Smedt: Ich habe tatsächlich fantastische Orte besucht. In der Türkei habe ich zum Beispiel entdeckt, dass der Sauerteig mit Wassertropfen hergestellt wird, die sich am frühen Morgen des ersten Frühlingstags auf dem Getreide bilden.

Diese Tropfen werden eingesammelt und zum Ansetzen des Sauerteigs verwendet.

Sauerteigbibliothek
Die in der Sauerteig-Bibliothek gelagerten und gepflegten Sauerteige dienen der Forschung und zudem als Backup. - Swissbaker

Dann besuchte ich eine Bäckerei in den Bergen, in der die Brote während vier Stunden in einem Holz­ofen gebacken werden.

Bei einem Beispiel in Griechenland wird der Sauerteig auf Basis eines mit Basilikum kontaminierten Oberteils hergestellt.

Ich habe einen Sauer­teig auf Basis von gekochtem Reis entdeckt, aus dem ein weiches Brötchen mit einer Füllung aus roter Bohnenpaste hergestellt wird.

Haben Boden (Getreide) und Wasser einer Region einen Zusammenhang mit den verschiedenen Bakterien in einem Sauerteig?

In der Bibliothek haben wir mehrere Arten Sauerteig aus demselben Land. Doch keine zwei Sauerteige sind gleich.

Die Felder, von denen das Mehl stammt, verleihen ihnen unterschiedliche Eigenschaften. Hatte der Boden mehr oder weniger Wasser, wird der Sauerteig konsistenter oder flüssiger.

Hat es in der Bäckerei, in der er hergestellt wurde, Hefesporen, wirkt sich dies auf den Sauerteig aus.

Heute können wir sagen, dass jeder Sauerteig einzigartig ist – abhängig von den Zutaten, vom Entstehungsort, vom Klima, vom Bäcker und von der Art der Pflege.

Sauerteig
Jeder Sauerteig ist einzigartig. - Unsplash

In letzter Zeit zeigen die Bevölkerung und die Fachleute mehr Interesse an Sauerteig. Was ist Ihre Erfahrung und was erwarten Sie für die Zukunft?

Ich glaube, dass der Sauerteig wieder Eingang in die Bäckerwelt gefunden hat. Er wurde während Jahrhunderten in der ganzen Welt zur Brotherstellung eingesetzt.

Wir haben diese unglaubliche Zutat aus den Augen verloren, als im 19. Jahrhundert die kommerzielle Hefe Einzug gehalten hat.

In den letzten 30 Jahren wurde Sauerteig Schritt für Schritt wieder eingesetzt, vor allem wegen seiner Wirkung auf den Brotgeschmack.

Heute ist man sich bewusst, dass es um mehr als um den Geschmack geht. Verschiedene aktuelle wissenschaftliche Studien belegen, dass Sauerteig sich positiv auf das Wohlbefinden und die Gesundheit auswirkt.

Die Nährwerte von Sauer­teigbrot sind besser als bei nur mit Hefe hergestellten Broten. Das hilft den Bäckern, ihre Brote gegenüber der Kundschaft noch besser zu positionieren.

Heute wage ich zu behaupten, dass der Sauerteig zurückgekehrt ist und ein wichtiger Bestandteil im Brot bleiben wird.

Die Sauerteig-Bibliothek

In der Sauerteigbibliothek von Puratos im belgischen St. Vith lagern in zwölf Grosskühlschränken 134 Sauerteige aus 25 Ländern.

Sie dienen der Forschung und zudem als Backup für die Bäckereien, deren Sauerteige dort gelagert sind. In Zusammenarbeit mit Professor Marco Gobbetti von der Universität Bari (I) analysierte und erforschte Karl De Smedt bereits über 1500 Mikroorganismen.

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