Einzigartige Cocktail-Legende: der italienische Negroni
Das Wichtigste in Kürze
- Der Negroni ist ein klassischer Aperitif-Cocktail.
- Seine Grundzutaten sind Campari, roter Wermut und Gin, Eiswürfel und eine Orangenscheibe.
- Zum ersten Mal wurde er vor gut 100 Jahren für den Grafen Camillo Negroni gemixt.
- Der Namensgeber wollte einen Americano trinken, jedoch ein kleines bisschen stärker...
Schon aus der Ferne leuchtet die Bar Basso in der Mailänder Via Plinio in die verregnete Nacht hinein: Über dem Eingang prangt ein überdimensionaler Schriftzug in Rot-Weiss.
Drinnen wird der klassische Aperitif-Cocktail Negroni in Gläsern ausgeschenkt, die ungefähr die Grösse von Fussballpokalen haben.
Er besteht zu drei gleichen Teilen aus Campari, rotem Wermut und Gin. Dazu kommen Eiswürfel und eine Orangenscheibe. Die italienische Lebensart ohne ihn wäre undenkbar.
Kellner Graziano bringt einen Negroni Sbagliato, das Getränk des Hauses. die Abwandlung des Kult-Getränks wurde hier erfunden. Statt Gin ist Prosecco drin.
Der erste Schluck schmeckt nach Sommer, der zweite auch. Draussen soll schlechtes Wetter sein? Fühlt sich nicht so an. Graziano bringt Oliven, Chips, kleine Brote mit Thunfischpaste.
Ein Cocktail ist in Italien ja immer auch eine halbe Mahlzeit. Beim dritten Schluck wähnt man sich innerlich schon fast am Strand.
Als der Graf einen stärkeren Drink wollte
Eine Geburtsurkunde hat der Drink nicht, aber immerhin eine Gedenktafel. Sie prangt an dem Haus in Florenz in der Via della Spada, in dem einst das Caffè Casoni war.
An dessen Tresen soll im Jahr 1919 Graf Camillo Negroni einen Americano (Campari, Wermut, Sodawasser) bestellt haben: nur eben ein bisschen stärker.
Der Barkeeper ersetzte das Wasser mit Gin und die Zitronenscheibe mit der einer Orange: Geboren war der Negroni. Der Mann hinterm Tresen hiess Fosco Scarselli. Ein Barmann, der in Italien mit Namen bekannt ist.
Vor der Gedenktafel zu Ehren des Negroni steht bei meinem Besuch in Florenz ein Baugerüst, wo einst das Caffé Casoni war, gehen Touristen heute shoppen. Fosco Scarselli ist lange tot, Camillo Negroni auch.
Aber ihr Cocktail lebt. Und wie. Einmal jährlich findet weltweit eine «Negroni-Week» statt, dieses Jahr Mitte September. Hollywoodstars zeigen auf Instagram ihre Drinks.
Vom Geheimtipp zum Klassiker
Nach Graf Negronis Bestellung blieb der Drink ein Geheimtipp, später machte ihn eine Bar auf Kuba populär. In den Fünfzigern schliesslich avancierte er zum Klassiker, so etwa im italienischen Hollywood, der Cinecittà in Rom. US-Regisseur Orson Welles soll vom Negroni geschwärmt haben.
Man trinkt mit dem Negroni eine Geschichte, sagt Luca Picchi, nicht nur einen Cocktail. Barkeeper und Autor Picchi ist Italiens oberster Negroni-Experte, und er ist Barchef im altehrwürdigen Caffè Gilli im Zentrum von Florenz mit gerafften Tüllvorhängen, Marmortischen, Kronleuchtern.
Auf der riesigen Aussenterrasse ist bei schönem Wetter jeder Platz besetzt. Es sitzen dort viele Touristen, von denen die meisten vermutlich noch nie etwas von Graf Negroni gehört haben.
Stellt sich die Frage, ob Picchi den Namen Negroni noch hören kann? Kann er. Nur seine Gegner nerven ihn. Ein französischer Blogger etwa behauptet, der Negroni sei auf Korsika erfunden worden.
Namensgeber Camillo Negroni kam 1868 in der Nähe von Florenz zur Welt und lebte später als Cowboy in Wyoming und im kanadischen Alberta, auch in New York.
1912 kehrte er zurück nach Italien, sprach vier Sprachen: Italienisch, Spanisch, Französisch, Englisch. Die Zeit in Amerika beeinflusste wohl seine Trinkvorlieben. Getränke zu mischen und Eiswürfel zu verwenden war nicht sehr verbreitet in Europa.
Der Graf starb 1934 mit 66 Jahren, ein Jahr nach dem Tod seiner Frau. Über all das gibt es auch einen Film: «Looking for Negroni» von Federico Micali.
Das Mäntelchen des Kardinals und weitere Variationen
Abseits der klassischen Variante gibt es inzwischen unzählige Variationen. Neben der mit Prosecco, dem Sbagliato, etwa den Boulevadier (Bourbon statt Gin). Oder den Teqroni (Tequila statt Gin).
Einer der ersten Twists war in den Fünfzigern der Cardinal: Nicht weil Filmstar Claudia Cardinale ihn bestellt hätte. Aber weil ein Kardinal einen Barmann in Rom zu einer Variante mit einer besonderen Wermut-Sorte inspirierte. Ein Wermut so rot wie das Mäntelchen des Kirchenmannes.
Der Namensgeber des Negroni ist auf dem weitläufigen Friedhof Trespiano ausserhalb von Florenz bestattet.
Wem die Touristenmassen in der Innenstadt rund um Dom und Uffizien zu anstrengend sind, kann sich auf eine einstündige Wanderung zu diesem Friedhof machen und die toskanische Landschaft bewundern.
Langweilig muss einem dort nicht werden: Neben dem Friedhof findet sich nicht nur ein Café, sondern auch eine Eisdiele.
Es ist die schlichteste Grabplatte, die man sich angesichts von Negronis Erbe vorstellen kann, und das ist bei all dem Hype doch beruhigend. Am Ende ist der Negroni vielleicht doch nur ein Cocktail. Wenn auch ein legendärer.