Die Detroit Lions stehen kurz vor dem Einzug ins Endspiel der NFL. Wie eine Runderneuerung einen ewigen Taugenichts zur Lichtgestalt einer ganzen Stadt machte.
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Die Detroit Lions stehen im NFC-Championship-Game der NFL. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit trennt die Lions ein Sieg vom Super Bowl.
  • Am Ursprung der Renaissance stehen drei Personen, die im Januar 2021 nach Detroit fanden.
  • In der Nacht auf Montag warten die San Francisco 49ers im NFL-Playoff-Halbfinal.
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21. Januar, 2024: Es sind noch eine Minute und 35 Sekunden auf der Spieluhr, als das Ford Field in Detroit in donnerndem Lärm ausbricht. Lions Linebacker Derrick Barnes hat soeben einen Pass von Buccaneers Quarterback Baker Mayfields aus der Luft gepflückt. Barnes hechtet zu Boden und macht den Ballwechsel amtlich.

Das Spiel ist so gut wie entschieden. Am Ende besiegen die Detroit Lions die Tampa Bay Buccaneers mit 31:23 und stehen zum ersten Mal seit 1991 im NFC-Championship-Spiel. Noch nie standen sie im Super Bowl, dem Endspiel der NFL – jetzt sind sie nur noch ein Sieg davon entfernt.

Schaffen es die Detroit Lions in den Super Bowl?

Nach dem ersten Playoff-Sieg seit 31 Jahren vor einer Woche gegen die Los Angeles Rams wurde eine Lautstärke von 133.6 Dezibel im Stadion gemessen – das ist ungefähr so laut wie der Antrieb eines Jets aus 30 Meter Entfernung. Vom Sonntag sind keine offiziellen Zahlen bekannt – doch der Kollektivjubel nach Barnes’ Interception wird mindestens so laut gewesen sein. Derweil verfolgten den geschichtsträchtigen Moment rekordverdächtige 80 Prozent aller TV-Zuschauer der Detroiter Metropolregion.

Vergangene Woche ist einer ganzen Football-Stadt ein Stein vom Herzen gefallen. Jetzt, befreit von der Last einer schier endlosen Erfolgsdürre, herrscht grenzenlose Euphorie in Motown. Vor drei Jahren stellten drei personelle Veränderungen in drei Wochen die Lions-Franchise auf den Kopf. Die chronologische Rekapitulation einer Rundumerneuerung im Januar 2021, die ein neues Zeitalter bei den Lions einläutete.

14. Januar 2021: Der neue General Manager tritt vor die Medien

Die Ernennung von Brad Holmes zum neuen General Manager der Lions steht am Anfang einer Reihe von Glücksgriffen in der Personalplanung der Lions-Führungsriege. Der ehemalige Chefscout der Los Angeles Rams stand zu Beginn des Auswahlprozesses eigentlich gar nicht auf der Wunschliste der Lions. Umso überraschender kam darum die Berufung des eher unbekannten Holmes zum Nachfolger von Bob Quinn.

Am 14. Januar 2021 trat Holmes zum ersten Mal als frischgebackener Lions-General-Manager vor die Medien im Ford Field. «Ich kann hier einen Unterschied machen, daran glaube ich felsenfest», proklamierte der damals 42-Jährige selbstsicher.

Holmes stammt aus einer Football-Familie: Sein Vater, Melvin Holmes, war Offensive Guard für die Pittsburgh Steelers in den 1970ern. Sein Onkel, Luther Bradley, war der Erstrundenpick der Detroit Lions im Jahr 1977.

Lions
GM Brad Holmes (r.) mit Headcoach Dan Campbell. - Instagram

Brad Holmes’ erster Pick als oberster Kaderplaner der Lions 44 Jahre später soll Offensive Tackle Penei Sewell werden. Er steht sinnbildlich für Holmes’ goldenes Händchen: Der gebürtige Hawaiianer schlägt sofort ein in der Lions-Offensive. In seiner zweiten Saison wird der Rechte Tackle in den Pro-Bowl gewählt, heuer winkt ihm gar die erste Ernennung ins All-Pro-Team – der All-Star-Elf der NFL.

Dabei ist Sewell nur einer von zahlreichen Spielern, die von Brad Holmes in den vergangenen Jahren rekrutiert wurden und zu essenziellen Leistungsträgern avancierten: Amon-Ra St. Brown, Aidan Hutchinson, Jahmyr Gibbs, Sam LaPorta, Brian Branch – oder eben Derrick Barnes, der den Sieg am Sonntag mit einer Interception besiegelte.

Indes hat Holmes seine Entscheidungskompetenzen nicht nur bei der Zusammenstellung des Kaders, sondern auch bei der Trainerwahl unter Beweis gestellt: Bereits in seiner ersten Woche als General Manager soll er massgeblich an der Entscheidung mitgewirkt haben, einen unerfahrenen Saints-Tight-End-Coach zum neuen Cheftrainer zu ernennen.

21. Januar 2021: Die legendäre «Kniescheiben»-Pressekonferenz des neuen Trainers

Als Dan Campbell den Mediensaal im Ford Field eine Woche nach Brad Holmes betritt, verweilten die Spieler der Detroit Lions bereits im Urlaub – wie so oft um diese Zeit in der 91-jährigen Vereinsgeschichte. Während ihre Divisionsrivalen aus Green Bay sich auf das NFC-Finale vorbereiteten, war die Saison der Detroit Lions längst vorbei. Mit einer Bilanz von 5-11 verfehlten sie den Endrunden-Einzug einmal mehr deutlich.

Seit der Jahrtausendwende schafften es die Lions nur drei Mal in die NFL-Playoffs – immer war bereits nach einem Spiel Schluss. Nun machten auch noch erste Gerüchte die Runde, dass der langjährige Quarterback Matthew Stafford die Mannschaft verlassen könnte. Der nächste Neustart stand bevor.

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Dan Campbell führt die Detroit Lions in der NFL in neue Sphären. - keystone

«Dieses Team wird die Identität aufnehmen einer Stadt, die am Boden war und einen Weg gefunden hat, wieder aufzustehen», so Dan Campbell in seiner ersten Pressekonferenz. In einer bizarren Rede verfluchte er den üblichen «Coaches-Speak» und sprach von der neuen Philosophie in Detroit: von gegnerischen Kniescheiben, die abgebissen und Zähnen, die eingetreten werden. «Man wird uns zu Boden werfen, aber früher oder später werden wir es sein, die als Letztes auf den Beinen stehen», so Campbell.

Obgleich auf Social Media vielerorts verhöhnt, traf er den Nagel in Detroit mit seiner feurigen Standpauke auf den Kopf. Er entfesselte damit eine Euphorie, die totgeglaubt schien in einer erfolgsarmen Sport-Stadt. Er holte sich den Spitznamen «Motor City Dan Campbell», kurz MCDC, ein, den er bis heute behalten soll.

Brad Holmes und Dan Campbell machten den Anfang im Neuanstrich der Lions. Die endgültige Zäsur in der repetitiven Vereins-Chronik markierte dann der 31. Januar: Der Abgang des langjährigen Quarterbacks Matthew Stafford war besiegelt.

31. Januar 2021: Ein ausgemusterter Goff als letztes Puzzleteil

Zwei Erstrundenpicks und einen Drittrundenpick handelte Brad Holmes mit den Los Angeles Rams als quid pro quo für Matthew Stafford aus. Des Weiteren übernahmen die Detroit Lions die Dienste von Rams-Quarterback Jared Goff.

Die Rams wurden so ihren einstigen Nummer-1-Pick los, dessen Leistung ihnen zu unbefriedigend und Vertrag ihnen zu teuer wurde. Die Lions verpflichteten sich, Goffs Monstersalär von 43 Millionen Dollar für 2021 und 2022 zu tragen.

Ein scheinbar klassischer Win-Win-Trade: Während die Rams zum Super-Bowl-Anwärter werden, können die Lions mit reichlich Draft-Kapital einen Neubeginn wagen. Goff übernimmt in seinen zwei garantierten Jahren in Detroit währenddessen die Rolle des Überbrückungsmannes bis zum nächsten Quarterback-Talent – so die Vorstellung vieler Experten. Nur wenige glaubten daran, dass der ehemalige Super-Bowl-Quarterback zu alter Stärke zurückfindet und die Lions nachhaltig zum Erfolg führt.

Buccaneers Lions Football
Quarterback Jared Goff dirigiert sein Team derzeit überragend. - keystone

Einer dieser wenigen war der frischgekürte GM Brad Holmes. Dieser war als Rams-Chefscout bereits bei der Auswahl des Kaliforniers im 2016-NFL-Draft beteiligt und somit bestens bekannt mit dessen Fähigkeiten. Zusammen mit Neo-Headcoach Campbell setzte er sich für den aussortierten Quarterback ein und schenkte ihm im ersten Draft in der vierten Runde einen deutschamerikanischen Receiver mit dem Namen Amon-Ra St. Brown.

Auch dank St. Brown schafft Goff in drei Jahren in Detroit die Kehrtwende und avanciert zu einem Top-10-Quarterback der Liga. In den vergangenen drei Saisons werfen nur Patrick Mahomes, Josh Allen und Justin Herberts mehr Pass-Yards als Jared Goff (12'258). Das Duo Goff-St.Brown ist mittlerweile eines der gefährlichsten Quarterback-Receiver-Tandems der NFL: In der aktuellen Saison verursachen die beiden zusammen die drittmeisten Yards (1515). Kein Wunder, dass Jared Goff und Amon-Ra St. Brown längst zu sportlichen Wahrzeichen in Detroit geworden sind.

29. Januar 2024: Einzug in den ersten Super Bowl?

Einst von Experten als Trade-Überbleibsel abgeschrieben, wird Jared Goff in der Nacht auf Montag der erste Quarterback seit 33 Jahren sein, der eine Lions-Mannschaft auf das Feld eines NFC-Meisterschaftsspiels führen wird. Mit den San Francisco 49ers wartet in Santa Clara eine Herkulesaufgabe auf Goff und Co. Die Niners waren heuer das beste Team der NFC.

Dennoch ist der Respekt auf Seiten des Favoriten gross. Im Vorfeld des Spiels lobt Niners-Tight-End George Kittle die authentische Kultur, welche die Lions mit Campbell pflegen: «Sie sind beharrlich, sie werden dich zermürben, sie werden alles aufs Feld bringen.»

Der erste Super Bowl der Vereinsgeschichte wäre die Krönung einer aussergewöhnlichen Comeback-Geschichte. Sie wird im Wesentlichen von drei Personen getragen, die allesamt innert drei Wochen im Januar 2021 zu den Lions fanden: von General Manager Brad Holmes, der als Rückgrat der Franchise das Erfolgskader von heute zusammengestellt hat; von Chefcoach Dan Campbell, der wie kein Zweiter für die distinkt Detroiter Mentalität bizarrer Verbissenheit steht; und von Jared Goff, der im Team, das ihm sportliches Asyl gewährte, zu alter Grösse zurückfand und sie zum ersten Playoff-Sieg seit über dreissig Jahren führte.

Die Lions greifen in der Nacht auf Montag nach den Sternen. Und eine ganze Stadt wird ihr dabei zusehen.

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