Mark Cavendish dominiert bei der Tour de France die Massensprints wie in jungen Jahren. Dabei musste der Brite fast schon um einen Vertrag betteln - und fährt nun für den Mindestlohn.
Mark Cavendish bejubelt, im Grünen Trikot des Führenden der Sprintwertung, seinen 33. Etappensieg bei der Zieleinfahrt. Foto: David Stockman/BELGA/dpa
Mark Cavendish bejubelt, im Grünen Trikot des Führenden der Sprintwertung, seinen 33. Etappensieg bei der Zieleinfahrt. Foto: David Stockman/BELGA/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Um die Dimension des fast schon unvermeidlichen Rekords von Mark Cavendish zu verdeutlichen, lohnt ein Blick auf Gerd Müller.

Der Stürmer des FC Bayern München erzielte vor 49 Jahren 40 Tore in einer Bundesliga-Saison. Ein Rekord für die Ewigkeit, dachte man. Doch dann kam in diesem Jahr Robert Lewandowski und setzte sogar noch ein Tor drauf.

Keine zwei Monate später ist nun der aus der sportlichen Versenkung wieder hoch geschossene Cavendish drauf und dran, den Jahrhundert-Rekord von Eddy Merckx von 34 Etappensiegen bei der Tour de France zu knacken.

«Ich habe jetzt keine Ausreden mehr, wenn ich nicht gewinne», sagte Cavendish nach seinem Sieg in Valence. Es war sein dritter Etappenerfolg bei dieser Tour, Nummer 33 insgesamt. Schon am Donnerstag in Nimes könnte King Cav in den Olymp des Radsports aufsteigen. Und so unantastbar wie der 36-Jährige momentan wirkt, wäre es fast schon eine Überraschung, sollte dies im ersten Versuch misslingen. «Mein Team ist perfekt, meine Sprintvorbereitung ist perfekt. Es gibt keinen Grund mehr, nicht konkurrenzfähig zu sein.»

Bemerkenswert ist, wie Cavendish versucht, das Merckx-Thema klein zu halten. Nach seinem ersten Etappensieg in Fougères bügelte er einen englischen Journalisten für die Frage nach dem Rekord angefressen ab. Nach dem zweiten Erfolg in Chateauroux flachste er, man solle bloss diesen einen Namen nicht nennen. Am Dienstag in Valence traute sich schlicht niemand mehr, die Frage nach Nummer 34 und Belgiens Rad-Legende zu stellen.

Womöglich hat der schnelle Mann von der Isle of Man in den vergangenen Jahren seine Lektion in Sachen Demut gelernt. Früher war sich Cavendish für keinen grossmäuligen Spruch zu schade, doch von 2018 bis 2020 steckte er physisch und psychisch in einem massiven Tief. Niemand traute ihm mehr etwas zu - bis auf seinen alten Teamchef Patrick Lefevere von Deceuninck-Quick Step. Doch man einigte sich erst spät und so blieb für Cavendish nur der Mindestlohn von jährlich 40 405 Euro und ein Vertrag für eine Saison.

Als Cavendish kurz vor der Tour als Ersatz für den verletzten Iren Sam Bennett nominiert wurde, war dies die erste kleine Überraschung. Die deutlich grössere folgte mit seinem ersten Etappensieg. Dass er nun wie in jungen Jahren die Massensprints dominiert, ist nahezu phänomenal. Dennoch sei angemerkt, dass einige starke Konkurrenten gar nicht erst dabei oder bereits ausgeschieden sind.

Cavendish mag dies wenig kümmern. Schliesslich steht er kurz vor dem Sprung in die Rekordbücher. Merckx gelangen seine Erfolge zwischen 1969 und 1975. Cavendish siegte bei der Grossen Schleife erstmals 2008. Dass er nach drei Jahren Abstinenz wieder dabei ist, ist für ihn schon Sieg genug. «Ich bin nur froh, hier zu sein», betonte Cavendish immer wieder. «Mit einigen von den jungen Fahrern bin ich zum ersten Mal bei einem Rennen. In ein paar Jahren werde ich ihnen von der Couch aus zuschauen.»

Vielleicht sogar schon im nächsten Jahr. Das hält Teamchef Lefevere nicht für ausgeschlossen. Im Juni hatte sich der Belgier mit seinem Schützling über die Zukunft unterhalten. «Mark sagte mir, er wolle noch ein weiteres Jahr fahren. Doch mittlerweile sieht die Welt komplett anders aus», sagte Lefevere. «Was ist, wenn er auf den Champs-Élysées im Grünen Trikot seinen 35. Etappensieg holt? Vielleicht sagt er dann, das war es für mich.»

Unvorstellbar ist das von Lefevere gemalte Bild nicht. Zumal es Cavendish eine Chance gewähren würde, die wenige Athleten auf diese Art und Weise bekommen. Er könnte auf dem Höhepunkt seiner Karriere abtreten. Beweisen muss Cavendish ohnehin niemandem mehr etwas. Da spielt auch der Rekord keine Rolle.

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