Zäh statt schön: Nagelsmann froh über «Drecksack-Mentalität»
Nach furiosem Beginn verwaltete Leipzig das Spiel gegen Istanbul beim Auftakt der Champions League nur noch. Dem ehrgeizigen Trainer hat das trotzdem gefallen.

Das Wichtigste in Kürze
- Leipzig(dpa) - Nur 1,71 Meter gross, flächendeckend tätowiert, markante Glatze: Optisch zählte Angeliño schon immer zu den Ausnahmeerscheinungen bei RB Leipzig.
Deshalb verschmerzte der Trainer von RB Leipzig es nach dem 2:0 gegen Istanbul Basaksehir zum Auftakt der Gruppenphase auch schnell, dass vor allem in der zweiten Halbzeit viel Luft nach oben war. Hauptsache, man war mit einem Sieg in die mit Paris Saint-Germain und Manchester United durchaus anspruchsvolle besetzte Gruppe gestartet.
Nun ragt der eigentlich als Verteidiger eingeplante Spanier auch als Torjäger heraus.
«Man muss ein wenig Drecksack-Mentalität an den Tagen haben, an denen man kein Top-Spiel macht», betonte Nagelsmann und erklärte: «Die zweite Halbzeit war ein wenig zäh. Wir waren ein wenig müde und nicht auf allen Positionen hundertprozentig fit.» Herausragend fit war allerdings der Spanier Angelino, der mit seinen Toren in der 16. und 20. Minute massgeblich am Pflichtsieg gegen den türkischen Meister beteiligt war.
Seine beiden Treffer beim 2:0 gegen Istanbul Basaksehir in der Champions League verbesserten seine Saisonbilanz auf vier Tore in den vergangenen drei Spielen. Die Tore fallen gewiss nicht in die Kategorie Zufall. «Das erste Tor ging schon in Richtung Weltklasse», befand Trainer Julian Nagelsmann. Da hatte Angeliño den Ball im Strafraum mit dem Rücken zum Tor bekommen, sich schon bei der Annahme um den mit der Mobilität einer Schrankwand ausgestatteten Verteidiger Martin Skrtel gedreht und unhaltbar abgeschlossen.
Auch Yussuf Poulsen hob noch einmal hervor, worauf es in der Königsklasse ankommt. «Am Ende des Tages geht es um drei Punkte. Dass die zweite Halbzeit nicht gut war, wissen wir», sagte der dänische Nationalspieler. Besonders mit Blick auf das schwere Auswärtsspiel in Manchester kommende Woche war der Sieg wichtig, um im Old Trafford nicht schon massiv unter Druck zu stehen.
Doch viel interessanter als seine brillante Technik beim Abschluss war die Position, in der sich Angeliño - zumindest in der ersten Halbzeit - wiederfand. Da wurde der 23-Jährige sozusagen als linker Aussenstürmer eingesetzt, der immer den Weg zur Mitte suchte. Ein Spiel, das stark an das von Timo Werner erinnerte. «Wir versuchen verschiedene Dinge. Ich versuche, mich der Taktik anzupassen. Das funktioniert immer besser», sagte Angeliño.
Trotz der mit Ausnahme der ersten 25 Minuten eher durchschnittlichen Leistung war der Sieg Leipzigs nie in Gefahr. Nur drei der acht türkischen Chancen kamen auf das Tor von Peter Gulacsi, in der Mehrzahl ungefährlich und aus der Ferne. Da konnte es sich Leipzig sogar erlauben, dem Gegner den Ballbesitz zu überlassen und auf Konter zu lauern.
Derzeit besteht noch die Gefahr, dass Leipzig Angeliño wie den zu Chelsea gewechselten Werner ebenfalls nach England ziehen lassen muss. Denn der frühere spanische U21-Nationalspieler ist von Manchester City nur ausgeliehen - und die Kaufoption hat es in sich. RB kann Angeliño für etwa 18 Millionen Euro fest verpflichten, wenn er mindestens zwölf Spiele in dieser Saison macht. Nach Informationen der «Bild» müssen fünf dieser Spiele jedoch in die Rückrunde fallen.
Diese spielte man jedoch nicht konsequent zu Ende. Besonders der eingewechselte Neuzugang Hee-chan Hwang offenbarte einige Schwächen. Nagelsmann warb deshalb um Geduld. «Er braucht noch Zeit. In der letzten Saison war er Stammspieler in einer gefestigten Mannschaft in Salzburg. In Leipzig spielen wir schon noch ein wenig anders», sagte der 33-Jährige. Hwang sei bemüht gewesen, aber er könne es sicherlich besser.
Bei Nagelsmann wäre die Erleichterung jedenfalls gewaltig, würde der als José Tasende geborene Aussenspieler nach zwei Leihen endlich fix an den Leipziger Cottaweg wechseln. «Er verkörpert einen Spieler, den ich liebe. Er kann mehrere Positionen ohne Anpassungsprobleme spielen», sagte Nagelsmann. Das gebe ihm die Option, ohne Auswechslungen seine Taktik anzupassen.
Womöglich bekommt der Südkoreaner schon am Samstag gegen Hertha BSC die Chance dazu. Nagelsmann wird mit den Kräften seines Kaders haushalten müssen. Schliesslich stehen bis zum 7. November noch fünf Spiele auf dem Programm, neben der Partie bei United noch die Duelle mit Paris und Borussia Mönchengladbach.
Die Rolle als Werner-Ersatz war für Angeliño in der hybriden Nagelsmann-Taktik wohl nicht eingeplant. Gleichwohl überrascht seine aktuell famose Torquote nicht. «Er haut im Training viele Dinger rein und ist auch aus schwierigen Winkeln extrem abschlussstark. In der neuen Position kommt er häufiger in torgefährliche Räume», erklärte Nagelsmann.
Der 33-Jährige sieht in Angeliño auch ein wenig sich selbst. «Er hat einen extremen Spieltrieb, will immer gewinnen», sagte Nagelsmann. So sei Angeliño in Phasen, in denen er nicht spielt, extrem unangenehm. Das beschreibe seinen Charakter sehr gut.
Nach zuletzt sechs Wechseln in fünf Jahren scheint Angeliño in Leipzig angekommen zu sein. «Es ist nicht so viel los wie anderswo. Für mich ist das perfekt», sagte der aus Galizien stammende Linksfuss kürzlich der «Mitteldeutschen Zeitung». «Der Coach vertraut mir. Das kann ich spüren und mit Leistung zurückgeben. Und sein Spielstil passt genau zu meinen Qualitäten.»