Kritiker halten Katar eine lange Liste von Menschenrechtsverletzungen vor. Zuletzt wurden Rufe nach einem Boykott der Fussball-WM 2022 lauter. Menschenrechtler mahnen, sehen aber auch positive Fortschritte.
In Katar gilt seit dem 20. März ein Mindestlohn von rund 230 Euro im Montag, doch der sei zu gering, moniert Amnesty International. Foto: Str/EPA/dpa
In Katar gilt seit dem 20. März ein Mindestlohn von rund 230 Euro im Montag, doch der sei zu gering, moniert Amnesty International. Foto: Str/EPA/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Rup Chandra Rumba aus Nepal hatte einen grossen Traum.

Erfüllen wollte er sich diesen Traum als Arbeiter in Katar, dem reichen Emirat und Gastgeber der Fussball-WM 2022. Doch statt mit dem erhofften Geld kehrte er im Sarg nach Hause zurück. Gestorben in Katar als junger Mann Mitte 20.

Dem gemeinsamen Sohn wollte ein besseres Leben bieten und ihn auf eine englischsprachige Schule schicken, so erzählt es seine Frau, die am Telefon noch immer traurig klingt.

Kritiker sehen in dem Fall des jungen Nepalesen ein Beispiel dafür, warum das Emirat am Golf wegen Menschenrechtsverletzungen immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Sie halten Katar vor, dort würden Arbeitsmigranten von skrupellosen Firmen ausgebeutet und misshandelt. Die Liste der Klagen ist lang: zu niedrige Löhne, überlange Arbeitszeiten bis zur Erschöpfung, menschenunwürdige Unterkünfte. Wegen Rekrutierungsgebühren stürzen sich Arbeiter oft in hohe Schulden. Zuletzt kamen sogar Rufe nach einem Boykott der WM auf.

Rumba arbeitete bis zu seinem Tod im Juni 2019 knapp zehn Monate als Gerüstbauer auf der Baustelle eines WM-Stadions. «Ich konnte es nicht glauben, als mich Firmenvertreter anriefen und mich informierten, er sei an einem Herzinfarkt gestorben», sagt seine Frau Nirmala Pakhrin. «Es ging ihm gut, als wir wenige Stunden davor telefonierten.»

Stand sein Tod in Verbindung zur Arbeit auf der Stadionbaustelle? Der Fall ist auch in den regelmässigen Berichten des katarischen Organisationskomitees zur Lage der Arbeiter auf den WM-Baustellen aufgeführt. Demnach erlag der junge Nepalese in seiner Unterkunft einem Herz-Kreislauf-Versagen infolge «natürlicher Ursachen». Das ist ungewöhnlich für einen Mann Mitte 20. Und es gab klare Verstösse.

Denn dem Bericht zufolge arbeitete Rumba im Auftrag der Firma eines nepalesischen Geschäftsmannes, die von einem Subunternehmer angeheuert worden war - jedoch ohne Erlaubnis des OKs. Der Nepalese sei zudem vorher nicht, wie vorgeschrieben, medizinisch untersucht worden. Auch seine Unterkunft sei nicht genehmigt worden.

Rumba zählt zu den mehr als 6500 Arbeitern aus Nepal und vier anderen südasiatischen Ländern, die laut dem britischen «Guardian» seit der WM-Vergabe 2010 in Katar starben. Das Blatt hält grosse Hitze bei der Arbeit als eine wahrscheinliche Ursache für viele dieser Todesfälle. Während die Menschenrechtsorganisation Amnesty International von einer «hohen Zahl» an gestorbenen Arbeitern spricht, hat Katars Regierung eine andere Lesart. Sie argumentiert, angesichts von mehr als 1,4 Millionen Menschen aus den fünf Ländern, die in Katar lebten, liege die Sterberate in einem zu erwartenden Bereich.

Aus den Zahlen des «Guardian» geht nicht hervor, welche Tätigkeit die Verstorbenen genau ausübten und wo sie arbeiteten. Einsatzorte gibt es etliche: Seit Jahren etwa gleicht die Hauptstadt Doha einer Grossbaustelle mit unzähligen Projekten. Vieles, wenn auch nicht alles, dürfte wenn nicht wegen der WM, dann aus deren Anlass entstehen.

Trotzdem verweisen die WM-Organisatoren darauf, dass die Zahl der gestorbenen Arbeiter, die tatsächlich auf Stadionbaustellen im Einsatz waren, deutlich geringer ist. Das WM-OK kommt in seinen Berichten auf insgesamt 37 Todesfälle. Drei davon hätten in Verbindung zu der Arbeit gestanden, 34 nicht, sagte ein Sprecher.

Das WM-OK legt zugleich grossen Wert darauf, dass nicht nur auf den Stadionbaustellen, sondern auch bei Versorgung und Unterkunft der Arbeiter hohe Sozial- und Sicherheitsstandards gelten. Diese Erfahrung hat auch Konstantin von Eicken gemacht, der für die Firma Hightex aus Bayern für den Bau der Aussenfassade des Al-Bayt-Stadions im Norden Katars verantwortlich war.

Auf den Stadionbaustellen werde nach internationalen Standards gearbeitet, die regelmässig kontrolliert worden seien, auch von Spezialisten, sagt von Eicken. «Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem.» Auch das Essen in der Kantine sei sehr gut gewesen ebenso wie die sanitären Einrichtungen und die klimatisierten Schlafräume. Penibel sei auch darauf geachtet worden, dass die Arbeiten bei zu grosser Hitze gestoppt wurden: «Dann war die Baustelle gesperrt.»

Auch Menschenrechtler räumen ein, dass sich die Lage der Arbeitsmigranten in Katar im Vorfeld der WM verbessert hat - das Ergebnis von mehreren Reformen der Regierung. So wurden etwa die strikten Ausreiseregelungen gelockert. Die UN-Arbeitsorganisation ILO bescheinigt dem Emirat, dass in Katar das Kafala-System effektiv abgebaut worden sei. Dieses auch in anderen Ländern der Region verbreitete System bindet ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen - und öffnet so deren Missbrauch Tür und Tor.

Trotzdem legen die Menschenrechtsorganisationen den Finger weiter in die Wunde. Zwar gilt in Katar seit dem 20. März einen Mindestlohn von rund 230 Euro im Montag, doch der sei zu gering, moniert Amnesty. Auch die Arbeitszeiten sind oft extrem lang. Migranten klagen, sie müssten sieben Tage die Woche arbeiten und bekämen über Monate keinen Urlaub. Vor allem Hausangestellte haben unter solchen Missständen zu leiden. Hinzu kommt: Die Reformen seien zwar beschlossen worden, würden aber unzureichend umgesetzt, bemängelt Amnesty. Tausende Arbeitsmigranten seien weiter der Gnade skrupelloser Arbeitgeber ausgesetzt.

Die Frau des Nepalesen Rumba sagt, ihr Mann sei in Katar unglücklich gewesen. Sein Job sei körperlich anstrengend gewesen, er habe umgerechnet nur etwa 180 Euro pro Monat verdient - weniger als ihm die Arbeitsvermittlungsagentur in der Heimat versprochen habe.

Nirmala Pakhrin fühlt sich immer dann am schlimmsten, wenn ihr acht Jahre alter Sohn nach dem Papa fragt. Sie musste noch eine andere böse Erfahrung machen: Die Firma des nepalesischen Geschäftsmannes blieb ihr zunächst eine Entschädigung schuldig. Erst nach unzähligen Anrufen und einem Brief an das WM-OK habe sie gut 1600 Euro erhalten.

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