In Polen nimmt die Angst vor einem «Polexit» zu. Landesweit fanden deshalb Demonstrationen für ein «europäisches Polen» statt.
Menschen halten während einer Demonstration in Warschau die Taschenlampen ihrer Mobiltelefone hoch. Foto: Czarek Sokolowski/AP/dpa
Menschen halten während einer Demonstration in Warschau die Taschenlampen ihrer Mobiltelefone hoch. Foto: Czarek Sokolowski/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Beziehung zwischen Warschau und Brüssel bleibt angespannt.
  • Deshalb fürchtet sich die polnische Bevölkerung vor einem «Polexit».
  • Die Mehrheit der Polen befürwortet die Mitgliedschaft in der EU.

Angesichts des Brüssel-feindlichen Kurses der rechtsnationalistischen Regierung in Polen nimmt die Angst vor einem möglichen «Polexit» zu. Am Sonntagabend demonstrierten in ganz Polen zehntausende Menschen. Sie setzten sich für einen Verbleib des Landes in der EU und gegen ein umstrittenes Urteil des Verfassungsgerichts ein.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg befasst sich am Montag mit den Klagen Polens sowie Ungarns gegen den neuen EU-Rechtsstaatsmechanismus.

Zu den Protesten aufgerufen hatte der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk von der oppositionellen Bürgerplattform (PO).

Vor einem Meer von Demonstranten mit EU-Flaggen in Warschau rief Tusk: «Zehntausende Menschen in Warschau sind gekommen, um dagegen zu protestieren, was diese Regierung unserem Heimatland antut.» Er forderte die Menschen zur «Verteidigung eines europäischen Polens» auf.

Polen
Der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk rief zu den Protesten gegen einen möglichen «Polexit» auf. - dpa

Die Demonstranten brachten die Warschauer Altstadt mit ihren Mobiltelefonen zum Leuchten. Viele sangen die polnische Nationalhymne und riefen: «Wir bleiben!»

Polens Verfassungsgericht hatte am Donnerstag den Vorrang des EU-Rechts vor dem polnischen Recht infrage gestellt. Dabei erklärte es mehrere Artikel in den EU-Verträgen für «unvereinbar» mit der Verfassung des Landes. Experten sprachen daraufhin von einem «juristischen Polexit». Rechtskräftig ist die Gerichtsentscheidung erst, wenn die Regierung sie offiziell veröffentlicht.

Laut Umfragen befürwortet eine grosse Mehrheit der Polen weiterhin die Mitgliedschaft in der EU. Auch die Regierung selbst hat einen EU-Austritt offiziell ausgeschlossen.

Der EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 sei «einer der Höhepunkte der vergangenen Jahrzehnte» gewesen. Dies gilt für Polen und die EU. Dies betonte der Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Tag nach dem Urteil des Verfassungsgerichts.

Polens Platz sei «in der europäischen Familie der Nationen». Polen lasse sich aber nicht «wie ein zweitklassiges Land behandeln», fügte er hinzu.

Angespannte Beziehung zwischen Warschau und Brüssel

Die Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel sind angespannt. Dies, seitdem die rechtsnationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2015 an die Macht kam. Im Zentrum des Streits stehen von der PiS vorangetriebene Justizreformen. Diese untergraben aus Sicht der EU die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung.

Die EU-Kommission hat in dem Justizstreit bereits mehrere Verfahren gegen Polen angestrengt. Als Druckmittel hält sie bisher insgesamt 57 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfsfonds für Polen zurück. Wegen Missachtung eines Urteils des EuGH droht Warschau zudem ein Zwangsgeld von täglich mehreren Millionen Euro.

Zum offenen Konflikt mit Brüssel kam es, als Polen gemeinsam mit Ungarn gegen den neuen EU-Rechtsstaatsmechanismus vor Gericht zog. Dieser ermöglicht es der EU, bei Rechtsstaatsverfehlungen von Mitgliedstaaten europäische Gelder zu kürzen. Das Verfahren zu den Klagen Warschaus und Budapests beginnt an diesem Nachmittag vor dem EuGH. Mit einem Urteil des Luxemburger Gerichts wird erst in einigen Monaten gerechnet.

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