Steinmeier: SS-Massaker in Italien Mahnung zum Widerstand gegen Nationalismus
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im norditalienischen Fivizzano der Opfer von einer Reihe von SS-Massakern vor 75 Jahren gedacht.

Das Wichtigste in Kürze
- Bundespräsident erinnert in Fivizzano an deutsche Kriegsverbrechen.
Angesichts der Verbrechen mahnte er zum Widerstand gegen Nationalismus und Rassismus. An diese Lehre müssten sich die Menschen heute erinnern, «gerade in Zeiten, in denen das Gift des Nationalismus wieder einsickert in Europa», sagte Steinmeier am Sonntag. Zuvor hatte er mit Italiens Staatschef Sergio Mattarella einen Kranz für die mehr als 400 Opfer der SS-Massaker 1944 niedergelegt.
Die Europäer müssten aus Respekt vor den Opfern und Überlebenden der NS-Verbrechen «streiten für Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und Menschlichkeit, für unser vereintes Europa ? heute vielleicht sogar stärker als zuvor», mahnte Steinmeier in seiner Rede, die er auf Italienisch hielt. Schliesslich gründe sich das geeinte Europa «auf einem Versprechen: Nie wieder entfesselter Nationalismus, nie wieder Krieg auf unserem Kontinent, nie wieder Rassismus, Hetze und Gewalt!»
Steinmeier betonte, sein Besuch in Fivizzano sei für ihn als Bundespräsident und als Deutscher ein «unendlich schwerer Weg». Zugleich sei er «zutiefst dankbar», «dass wir diesen Weg des Erinnerns und Gedenkens um einer besseren Zukunft willen gemeinsam gehen können». Auf seine Bitte um «Vergebung» reagierte die versammelte Menge mit Applaus.
Aus Rache für einen Partisanenangriff hatten im August 1944 Männer der 16. SS-Panzer-Grenadier-Division «Reichsführer SS» über mehrere Tage hinweg in mehreren Ortschaften von Fivizzano insgesamt mehr als 320 Menschen - zumeist Frauen, Kinder und ältere Menschen - ermordet. Weitere deutsche Kriegsverbrechen in Fivizzano wurden im Mai und im September 1944 verübt. Insgesamt wurden mehr als 400 Menschen umgebracht.
Steinmeier kritisierte ungewöhnlich scharf, dass die NS-Kriegsverbrechen in Fivizzano in Deutschland zu spät aufgearbeitet worden seien. Leider seien die meisten Täter juristisch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Fivizzano wählte der Bundespräsident nach eigenen Angaben bewusst für seinen Besuch, weil die dortigen NS-Verbrechen hierzulande kaum bekannt sind.
Italiens Staatschef Mattarella sagte in seiner Rede, es sei ein «Trugschluss», dass die SS-Massaker nur verübt wurden, weil es sich um eine andere Epoche gehandelt habe. Vielmehr seien die Lehren aus den Verbrechen ein «Auftrag, der uns jeden Tag begleiten muss.» An der Gedenkfeier am Sonntag nahmen auch hunderte der rund 7500 Einwohner von Fivizzano teil.
Vor ihren Reden legten Steinmeier und Mattarella gemeinsam einen Kranz an einer Gedenktakel für die Massaker-Opfer nieder. Ausserdem traf Steinmeier zwei Überlebende des Massakers. Die 80-Jährige Luisa Chinca war fünf Jahre alt, als die SS-Männer ihre Mutter, vier Tanten und einen Cousin ermordeten. Der heute 87-jährige Andrea Quartieri verlor bei den Massakern seine Grosseltern und mehrere Cousins.
Begleitet wurde Steinmeier ausser von seiner Frau Elke Büdenbender vom Bürgermeister von Fivizzanos deutscher Partnerstadt Steinhagen, Klaus Besser (SPD), sowie von dem Lindauer Anwalt Udo Sürer. Er ist der Sohn von einem an dem Massaker beteiligten Deutschen und ist wegen seines Engagements für die Aufarbeitung der Verbrechen Ehrenbürger von Fivizzano.
Steinmeiers Reise fand vor dem Hintergrund der Regierungskrise in Italien statt. Seine Warnungen vor Nationalismus und Rassismus könnten als Warnung vor einer ultrarechten Regierung in Rom verstanden werden. Der Chef der rechtsradikalen Lega-Partei, Matteo Salvini, hatte Anfang August die Koalition mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung für gescheitert erklärt. Angesichts guter Umfragewerte für seine Lega und andere rechte Parteien dringt der einwanderungsfeindliche Innenminister auf vorgezogene Parlamentswahlen.
Mattarella sondiert derzeit Wege aus der Regierungskrise. Er gab den Parteien bis Dienstag zur Bildung eines Regierungsbündnisses Zeit. Anderenfalls sind auch Neuwahlen oder die übergangsweise Einsetzung einer Expertenregierung denkbar.