Doppelte Niederlage für Boris Johnson: Das britische Unterhaus hat das Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit angenommen und gegen einen Antrag auf Neuwahl gestimmt.
Boris Johnson Unterhaus Brexit
Premierminister Boris Johnson ist während der Debatte im britischen Unterhaus sichtlich aufgebracht. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das britische Unterhaus hat ein Gesetz gegen den «No Deal»- Brexit angenommen.
  • Das Gesetz muss nun noch vom Oberhaus abgesegnet werden.
  • Den Antrag von Boris Johnson auf eine Neuwahl lehnten die Abgeordneten ab.

Der britische Premierminister Boris Johnson ist mit seinem kompromisslosen Brexit-Kurs im Unterhaus krachend gescheitert. Die Abgeordneten stimmten am Mittwochabend in dritter Lesung mit 327 zu 299 Stimmen für ein Gesetz, das einen ungeregelten Austritt am 31. Oktober verhindern soll.

Johnson reagierte wütend im Unterhaus: «Das ist ein Gesetzentwurf, der dazu gemacht ist, das grösste demokratische Abstimmungsergebnis in unserer Geschichte umzudrehen, das Referendum von 2016.»

Conservative Party
Boris Johnson schmiss 21 Abgeordnete seiner Fraktion aus der Conservative Party. - dpa

Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch das Oberhaus passieren. Dieses sollte noch in der Nacht zum Donnerstag debattieren. Es warten jedoch auch im Oberhaus weitere Fallstricke wie eine Flut von Anträgen und Dauerreden (Filibuster).

Alterspräsident Ken Clarke appellierte an Boris Johnson schliesslich, mit Spielchen aufzuhören und «eine ernsthafte Lösung für diese unerträglichen Probleme zu finden».

Clarke hatte am Dienstag wie 20 weitere Tory-Rebellen gegen die Regierung gestimmt und war von Johnson aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Das harsche Vorgehen gegen die Abweichler stiess auf starke Kritik bei gemässigten Konservativen.

Parlament will keine Neuwahl

Nachdem das Parlament gegen den No-Deal-Brexit stimmte, erlitt Johnson auch eine Niederlage bei der Abstimmung für eine Neuwahl am 15. Oktober. Lediglich 298 Abgeordnete stimmten dafür, nötig wären 434 Stimmen – also eine Zwei-Drittel-Mehrheit – gewesen.

Boris Johnson reagierte sichtlich genervt. Er bezeichnete den linken Jeremy Corbyn als «den ersten Oppositionsführer in der demokratischen Geschichte unseres Landes», der die Einladung zu Neuwahlen abgelehnt hatte.

Die Opposition kündigte bereits vor der Abstimmung an, dass sie erst für eine Neuwahl stimmen wird, wenn ein EU-Austritt ohne Abkommen vom Tisch ist. Deshalb enthielten sich die Abgeordneten der Labour-Partei bei der Abstimmung am Mittwochabend.

Boris Johnson Jeremy Corbyn
Mitglieder der Labour Party um Jeremy Corbyn (2.v.r.) bei einem Treffen der Oppositionsparteien in London. - dpa-infocom GmbH

Zur Begründung gab die Opposition die Sorge an, dass Johnson im Falle eines «Ja» zu Neuwahlen diese eigenmächtig auf die Zeit nach dem 31. Oktober verschieben könnte - und so doch noch einen No-Deal-Brexit durchsetzen könnte.

Labour-Chef Jeremy Corbyn nannte Johnsons Vorgehen «zynisch». «Der Regierungschef tut so, als habe er eine Strategie. Aber er kann uns nicht sagen, welche.»

Boris Johnson legt in Umfragen zu

In Umfragen hat Boris Johnson durch seinen Konfrontationskurs zuletzt massiv an Zustimmung gewonnen. Durch vorgezogene Neuwahlen könnte er sich womöglich eine neue Regierungsmehrheit im Parlament sichern, die er durch den Fraktionswechsel eines Abgeordneten und den Parteiausschluss der Tory-Rebellen verloren hat.

Am Mittwoch kündigte die Regierung zudem ein Ende der jahrelangen Sparpolitik im Königreich an, was weitere Pluspunkte beim Wähler bringen könnte.

Sajid Javid Boris Johnson
Finanzminister Sajid Javid kündigte zur Bewältigung der Brexit-Folgen zusätzliche Ausgaben von zwei Milliarden Pfund an. - dpa

So solle es 20'000 neue Stellen bei der Polizei, sowie 6,2 Milliarden Pfund (6,85 Milliarden Euro) zusätzlich für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS geben, sagte Finanzminister Sajid Javid. Zugleich kündigte er zur Bewältigung der Brexit-Folgen zusätzliche Ausgaben von zwei Milliarden Pfund an.

Javids Rede wurde von oppositionellen Abgeordneten immer wieder mit Spott und Buhrufen bedacht. Sie warfen der Regierung vor, jetzt schon mit dem Wahlkampf zu beginnen.

Gesetz soll Brexit-Verlängerung erzwingen

Das Gesetz gegen den ungeregelten EU-Austritt soll Boris Johnson dazu zwingen, eine dreimonatige Verlängerung der Brexit-Frist zu beantragen, falls bis zum 19. Oktober kein Abkommen mit der EU ratifiziert ist. Der Antrag müsste dann von den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten einstimmig gebilligt werden.

Johnson will Grossbritannien am 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen, «komme, was wolle». Er hofft, Brüssel damit zu Zugeständnissen bei dem bereits drei Mal im Unterhaus gescheiteren Brexit-Deal bringen zu können.

Brexit Debatte im Unterhaus
Boris Johnson (l), Premierminister von Grossbritannien, spricht während seiner ersten Fragerunde im britischen Parlament. - dpa

Rückenwind bekam Johnson auch durch die britische Zentralbank. Diese erklärte, die Risiken eines No-Deal-Brexits wären inzwischen «weniger schlimm» als bisher gedacht, weil die Vorbereitungen verbessert worden seien.

Auch die EU-Kommission verstärkte ihre Vorbereitungen. Für den No-Deal-Fall stellte sie 780 Millionen Euro an Finanzhilfen für die Mitgliedstaaten bereit.

Zwangspause von Boris Johnson bleibt vorerst bestehen

Auch für die Gegner eines ungeregelten Brexits gab es am Mittwoch einen Rückschlag: Das oberste schottische Zivilgericht wies eine Klage gegen die von Johnson erwirkte mehrwöchige Zwangspause des Parlaments ab. Das Gericht fühle sich für diese Streitfrage nicht zuständig, berichteten britische Medien aus dem Gericht in Edinburgh.

Boris Johnson
Protest in London gegen die von Boris Johnson verordnete Zwangspause des Parlaments. Foto: Frank Augstein/AP - dpa-infocom GmbH

Geklagt hatten etwa 75 Parlamentarier. Sie sehen in der von Johnson angestrebten wochenlangen Schliessung des Unterhauses vor dem EU-Austritt des Landes Ende Oktober eine unzulässige Einschränkung des Parlaments. Sie legten umgehend Berufung ein.

Bereits am Donnerstag soll es dazu eine Anhörung geben. Ähnliche Klagen wurden auch vor Gerichten im nordirischen Belfast und in London eingereicht.

Nun entscheidet High Court

Am Donnerstag sollte der Fall vor dem High Court in der britischen Hauptstadt verhandelt werden. Ein letztinstanzliches Urteil dürfte aber am Ende der Supreme Court fällen. Der Klage in London hatte sich auch der konservative Ex-Premierminister John Major angeschlossen.

Boris Johnson Queen Elizabeth
Queen Elizabeth II. und der Premierminister Boris Johnson. - POOL/AFP

Johnson hatte bei Königin Elizabeth II. erfolgreich beantragt, das Parlament von Mitte September bis Mitte Oktober zu suspendieren, um in einer neuen Sitzungsphase sein Regierungsprogramm vorzulegen. Der Schritt ist so kurz vor dem Brexit Ende Oktober sehr umstritten. Die Gegner eines ungeregelten EU-Austritts stehen unter grossem Zeitdruck.

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