Vor einem Jahr erschütterte ein Missbrauch-Skandal die Schweizer Turnwelt. Sportministerin Viola Amherd präsentiert heute die beschlossenen Massnahmen.
Medienkonferenz zur Umsetzung von Ethikgrundsätzen im Sport mit Bundesrätin Viola Amherd.
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ehemalige Spitzensportlerinnen legten Missbräuche im Leistungszentrum Magglingen offen.
  • Nach einer Untersuchung wurden Massnahmen beschlossen, um zukünftige Fälle zu vermeiden.
  • Sportministerin Viola Amherd präsentiert diese heute vor den Medien.

Die vor Jahresfrist aufgedeckten Missstände bei den Turnerinnen im Leistungszentrum Magglingen haben Konsequenzen: Der Bund will künftig stärker gegen Ethikverstösse vorgehen. Damit sollen insbesondere minderjährige Athletinnen und Athleten besser geschützt werden.

Sportministerin Amherd liess die Vorfälle extern von der Zürcher Anwaltskanzlei Rudin Cantieni untersuchen. Auf der Grundlage dieser Untersuchung und ihrer Empfehlungen haben das VBS und der Dachverband des Schweizer Sports, Swiss Olympic, gemeinsame Massnahmen beschlossen. Diese stellten sie nun in Bern vor den Medien vor.

Viola Amherd
Jürg Stahl, Präsident Swiss Olympic, Bundesrätin Viola Amherd und Matthias Remind, Direktor BASPO, von links, äussern sich an einer Medienkonferenz zur Umsetzung von Ethikgrundsätzen im Sport, am 16. November 2021, in Bern. - Keystone

Hier finden Sie die wichtigsten Punkte:

- Die Umsetzung von Ethikgrundsätzen rückt in den Mittelpunkt, das Motto lautet: «Ja zum Leistungsport, aber nicht um jeden Preis», so Amherd. So werden Prinzipien neu auf eine rechtsverbindliche Basis gestellt, was im Fall von Verstössen Sanktionen ermöglicht. Zudem werden die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Behörden und privaten Verbänden verbindlicher geregelt, um insbesondere die Aufsichtsfunktion des Bundes sicherzustellen.

- Es wird eine neue Meldestelle eingerichtet, die «Swiss Sport Integrity». Diese wird bei der bereits bestehenden unabhängigen Stiftung Antidoping Schweiz angesiedelt.

- Das VBS unterbreitet eine Teilrevision der Sportförderverordnung. Sie legt unter anderem fest, welche Mindestanforderungen im Bereich sicherer und fairer Sport die Verbände erfüllen müssen, wenn sie Subventionen des Bundes beanspruchen.

- Vermehrt einbezogen werden sollen laut dem Bund auch die Erziehungsberechtigten der jungen Athletinnen und Athleten. Für die Eltern von Spitzensportlerinnen und -sportlern soll bis Ende 2022 ein «Werkzeugkasten» erarbeitet werden, der eine «adäquate Karrierebegleitung» ermöglichen soll.

Hier finden Sie das Protokoll zur Medienkonferenz

12:15: Wieso braucht es die mutigen Athletinnen und die Medienberichte, damit der Bund diese Ethik-Vorsätze vorgibt? «Es ist schon so, dass es schwierig ist, wenn erst reagiert wird, wenn etwas passiert», so Amherd. Aber man habe hier nun festgestellt, dass Fehler passiert sind und es einen Änderungsbedarf gebe.

«Ich stütze mich auf das, was wir nun machen können und gemacht haben. Wichtig ist, dass wenn man etwas erkennt, die Konsequenzen daraus zu ziehen und für die Zukunft Verbesserungen heranzuziehen», so das Schlusswort der Bundesrätin.

12:12: Es werde nun eine Informationskampagne folgen, um die Massnahmen bekannt zu machen. «Es bringt wenig, eine Meldestelle zu haben, wenn sie niemand kennt», so Amherd.

12:11: Wo ortet Baspo-Direktor Remund Fehler bei seinem Bundesamt? «Wir haben das System als solches nicht grundsätzlich infrage gestellt», wirft sich Remund selber vor.

12:07: Die Fragerunde beginnt. Wie will man beim Baspo die Kontrollen umsetzen und gibt es genügend Ressourcen? Dafür werde nun ein grosses Projekt aufgesetzt. Es soll ein einheitliches Reporting-System geben, so Remund.

12:00: Jörg Schild, Präsident Swiss Olympic, versichert, auch sein Sportverband stehe hinter den Massnahmen. «Eine enorm wichtige Massnahme ist die Schaffung der neuen Meldestelle». Dies in Verbindung mit dem neu entwickelten Ethik-Statut. Die Arbeit daran habe bereits vor dem Skandal im Oktober begonnen.

Die Arbeit sei nicht abgeschlossen, aber man habe nun wichtige Schritte gemacht.

Swiss Olympic
Jörg Schild, Präsident bei Swiss Olympic. - Screenshot Youtube

11:49: Der Direktor des Bundesamtes für Sport (Baspo), Matthias Remund, erläutert die konkrete Umsetzung der Massnahmen. «Wir wollen nicht, dass so etwas wieder passiert.»

Für die verstärkte Umsetzung von Ethikgrundsätzen im Sport werde neu auf eine rechtsverbindliche Basis gestellt, was im Fall von Verstössen Sanktionen ermöglicht

Matthias Remund, Direktor im Bundesamt für Sport (BASPO), sagt: «Geld ist im Spitzensport nicht die einzige Stellschraube zum Erfolg.»
Matthias Remund, Direktor im Bundesamt für Sport (BASPO), sagt: «Geld ist im Spitzensport nicht die einzige Stellschraube zum Erfolg.» - sda - KEYSTONE/MICHAEL BUHOLZER

Alle Athleten werden die Möglichkeit haben, Missstände anonym zu melden, Stichwort Meldestelle «Swiss Sport Integrity».

Die Sportförderung werden stark der Prämisse «Leistungssport ja – aber nicht zu jedem Preis» ausgerichtet. Man fordere etwa die Anpassung des Einstufungssystems bei Swiss Olympic ein.

Die Erziehungsberechtigten sollen die sportliche Karriere ihrer Kinder näher begleiten. Mit einem neuen Werkzeugkasten will man dazu bis Ende Jahr einen bessere Unterstützung anbieten.

11:35: Rechtsanwältin Ofebia Wettstein stellt den Beicht der Anwaltskanzlei Rudin Cantieni vor. Nicht ein individueller Trainer sei das Problem, sondern das System. Deswegen gehe man nicht auf das Fehlverhalten einzelner Personen ein.

Viola Amherd
Rechtsanwältin Ofebia Wettstein von der Kanzlei Rudin Cantieni. - Youtube

Ein Sechstel der Athleten gaben an, Angst vor dem Training zu haben und regelmässig beschimpft zu werden. Auf Verletzungen werde nicht oder fast keine Rücksicht genommen. Ein Fünftel habe angegeben, gewaltorientierte Trainingsmethoden erlebt oder beobachtet zu haben. Ein Drittel habe erlebt, wie die Befriedigungen von Grundbedürfnissen wie trinken oder ein Gang auf die Toilette verweigert worden sei.

Viele Athleten hätten angegeben, dass nach einer Meldung eines Missstandes nichts geschehen sei. Bei rund einem Viertel habe sich die Lage danach sogar noch verschlimmert.

Der finanzielle Druck führe teilweise dazu, dass auf die Bedürfnisse der Athleten zu wenig eingegangen werde.

11.19: Sportministerin Viola Amherd eröffnet die Medienkonferenz. Die Sportförderung funktioniere grundsätzlich, auch wenn es gewisse Defizite gebe.

«Leistungssport fordert. Er ist hart und verlangt Ausdauer und Disziplin und bedeutet Verzicht. Es soll auch in Zukunft Leistungssport geben, aber nicht um jeden Preis. Die Würde der Athletinnen und Athleten steht an erster Stelle – und damit auch vor dem Ergebnis.»

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Bundesrätin Viola Amherd an der Medienkonferenz am 16. November 2021. - Youtube/VBS DDPS

Man habe nun mit dieser Grundeinstellung fünf Handlungsfelder definiert. Die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Behörden und privaten Verbänden werden verbindlicher geregelt, um insbesondere die Aufsichtsfunktion des Bundes sicherzustellen.

Für die verstärkte Umsetzung von Ethikgrundsätzen im Sport wird auch der Bund schauen. So werden Prinzipien neu auf eine rechtsverbindliche Basis gestellt, was im Fall von Verstössen Sanktionen ermögliche.

Es werde eine neue Meldestelle eingerichtet, die «Swiss Sport Integrity». Diese wird bei der bereits bestehenden unabhängigen Stiftung Antidoping Schweiz angesiedelt.

«Wir investieren in die Qualität der Nachwuchsförderung», so Amherd weiter. Den Kindern sei man am meisten schuldig.

Und fünftens würden die Erziehungsberechtigten besser einbezogen werden, somit aber auch mehr Verantwortung übernehmen müssen.

Sport soll aber mit so wenig administrative Hürden wie möglich verbunden sein. «Sonst verlieren wir die freiwilligen Helferinnen und Helfer.» Man brauche aber einen wirksamen Schutz für alle die erniedrigt oder missbraucht würden. Im besten Fall greifen die Massnahmen präventiv.

Für den Fall, dass die präventive Wirking nicht wie gewünscht einträfen, sorge man für griffige Instrumente und Eingriffsmöglichkeiten.

Skandal im Oktober 2020 in Magglingen

Im Oktober 2020 erschütterte ein Skandal die Sportwelt am Leistungszentrum in Magglingen BE. Acht ehemalige Spitzen-Turnerinnen hatten geschildert, wie sie psychisch und physisch misshandelt worden seien. Die Ethikkommission des Schweizerischen Turnverbands (STV) stufte die Aussagen der Athletinnen als glaubwürdig ein.

Das Sportzentrum könne von Glück reden, dass sich noch keine Sportlerin das Leben genommen hat, sagt eine ehemalige Trainerin. So litten zig Turnerinnen infolge der Misshandlungen unter Angst- und Essstörungen. Auch von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen war die Rede.

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Die Kunstturnerin Ariella Käslin zusammen mit ihrem damaligen Trainer Fabien Martin bei der WM 2007. Sie erhebt schwere Vorwürfe an die Verantwortlichen des Sportzentrums Magglingen. - Keystone

Es kam beim STV zu zahlreichen Rücktritten, unter anderem des Geschäftsführers Ruedi Hediger und Felix Stingelin, Chef Spitzensport.

Bundesrätin Viola Amherd liess Vorwürfe extern aufarbeiten

Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), hatte im November ihren Unmut geäussert. Sie hatte deutlich gemacht, dass sie solche Geschehnisse nicht akzeptiere. Um junge Athletinnen und Athleten zu schützen, sei ein Wandel auf allen Ebenen im Spitzensport notwendig.

magglingen sportschule
Das Turnzentrum in Magglingen. - SDA

Als Reaktion wurde bereits im Frühling 2021 eine unabhängige Meldestelle angekündigt. Sportler, Trainer, Eltern und auch Zuschauer sollen anonym beobachtete Verstösse melden können.

Sportministerin Amherd liess die Vorfälle extern von der Zürcher Anwaltskanzlei Rudin Cantieni untersuchen. Auf der Grundlage dieser Untersuchung und ihrer Empfehlungen haben das VBS und der Dachverband des Schweizer Sports, Swiss Olympic, gemeinsame Massnahmen beschlossen. Diese stellen sie nun in Bern vor den Medien vor.

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