Die Mitte/EVP-Fraktion unterstützt die Änderungen am Polizeigesetz, kann sich die Kehrtwende der Regierung bezüglich «Predictive Policing» aber nicht erklären.
St. Gallen Polizeigesetz
Die St. Galler Polizei verhaftet einen Mann. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Das St. Galler Polizeigesetz soll modernisiert werden.
  • Die Regierung hat nach Diskussionen beim «Predictive Policing» nachkorrigiert.
  • Heidi Romer-Jud (Mitte) spricht im Interview von einer erklärungsbedürftigen Kehrtwende.
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Seit Anfang 2022 beschäftigt sich der St. Galler Kantonsrat intensiv mit der Überarbeitung des Polizeigesetzes. Während viele der vorgeschlagenen Änderungen allgemeine Zustimmung finden, beinhaltet die Vorlage auch kontroverse Themen, die mit Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte verbunden sind.

Besonders umstritten ist das Konzept des «Predictive Policing». Hierbei erwägt die Polizei den Einsatz von auf Algorithmen basierender Software, um «Gefährderprognosen» zu generieren. Das erklärte Ziel besteht darin, es der Polizei zu ermöglichen, präventiv zu handeln, noch bevor eine Straftat begangen wird.

Heidi Romer-Jud (Die Mitte) sieht die Vorlage auf gutem Weg und erklärt im Nau.ch-Interview, wieso ihre Fraktion die Vorlage unterstützt.

Nau.ch: St. Gallen schneidet im Schweizer Vergleich bei der Kriminalstatistik überdurchschnittlich gut ab. Wieso sollen die Befugnisse der Polizei trotzdem ausgeweitet werden?

Heidi Romer-Jud: Das Bedrohungs- und Risikomanagement (BRM) des Kantons St. Gallen wurde 2019 infolge Ratifizierung der Istanbul-Konvention im Europarat geschaffen. Der Bund verpflichtete sich mit diesem Übereinkommen, Stellen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu schaffen. Dabei delegierte er die Aufgabe an die Kantone. Das BRM ist das geeignete Instrument, um überhaupt Sensibilität für Bedrohungsthemen wahrzunehmen. Mit den jetzigen Nachträgen des Polizeigesetzes wird ihre Arbeit noch gesetzlich manifestiert.

Heidi Romer-Jud
Heidi Romer-Jud. - zVg

Ebenfalls ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für den automatisierten Datenaustausch dringend notwendig, da Straftaten an der Kantonsgrenze nicht aufhören. Der interkantonale Austausch ist für die Polizei ein ganz wichtiges Arbeitsinstrument und gehört unbedingt in das Polizeigesetz.

Nau.ch: In welchen Bereichen orten Sie beim Polizeigesetz Handlungsbedarf?

Romer-Jud: Agieren ist immer besser als reagieren, damit frühes polizeiliches Handeln Leid verhindern kann und die Opfer besser geschützt, aber vielleicht auch potenzielle Täter von einer geplanten Ausübung ihrer Straftat abgehalten werden können. Mit der präventiven Polizeiarbeit soll die rein auf die Strafverfolgung ausgerichtete Polizeiarbeit ergänzt werden. So soll das Polizeigesetz modernisiert werden.

Nau.ch: Mit welchen geplanten Änderungen sind Sie in dieser Form nicht einverstanden?

Romer-Jud: Grundsätzlich bin ich mit der vorliegenden Vorlage einverstanden.

St. Gallen Polizeigesetz
Polizistinnen und Polizisten beobachten eine Demonstration in St. Gallen. - keystone

Die Regierung sieht in der überarbeiteten Vorlage von einem raumzeitbezogenen «Predictive Policing» ab. Konkret möchte sie auf Software mit Algorithmen verzichten mangels Notwendigkeit, fehlender zweckmässiger Instrumente sowie Erfahrung in der Praxis. In der ersten Vorlage war sie jedoch der Ansicht, dass der Einsatz moderner Technologien in der Polizeiarbeit in Zukunft unverzichtbar sei. Diese 180-Grad-Kehrtwendung hat sicherlich noch Erklärungsbedarf.

Nau.ch: Wieso wird das «Predictive Policing» derart kontrovers diskutiert?

Romer-Jud: Mit «Predictive Policing», besser gesagt mit der «voraussagenden Polizeiarbeit» im Sinne der raumbezogenen Methode, würde eine Software anhand raum- und zeitbezogener Daten auf eine potenziell gefährdende Person hindeuten.

Man vertraut einer Technik, einer Software. Die Zuverlässigkeit dieser empirischen Gefährdungsprognosen hängt zudem unmittelbar mit der Dateneinspeisung des Menschen zusammen.

Befürworten Sie die Änderungen am St. Galler Polizeigesetz?

Das Ziel ist selbstverständlich nicht, jemanden für eine Straftat zu ahnden, die noch gar nicht begangen wurde, sondern sie davon abzuhalten. Das Grundrecht der Unschuldsvermutung wird damit nicht beschnitten. Präventive Polizeiarbeit wird immer sehr anspruchsvoll bleiben.

Nau.ch: Wird der Datenschutz der Betroffenen, insbesondere von sogenannten «Gefährdern», genügend gewahrt?

Romer-Jud: Das Sammeln von Daten von sogenannten «Gefährdern» ist selbstverständlich immer sehr heikel und soll darum auch im Polizeigesetz klar definiert werden. Daten im Rahmen des BRM sollen darum nach fünf Jahren vernichtet werden. Sollte sich eine Gefährdungsmeldung als Irrtum herausstellen oder wird festgestellt, dass von der gemeldeten Person keine Gefahr ausgeht, so sollen die Daten unmittelbar, sofort von Amtes wegen gelöscht werden. Dem Datenschutz ist somit Genüge getan.

«Anhaltung ist im Polizeigesetz unbedingt wieder abzubilden»

Nau.ch: Die Polizei soll neu Personen anhalten und kontrollieren dürfen, auch ohne dass ein konkreter Verdacht besteht, dass diese Person ein Delikt begangen hat. Ist das aus Ihrer Sicht notwendig?

Romer-Jud: Ja, unbedingt, die Anhaltung ist in der Polizeiarbeit das am meisten genutzte Polizeiinstrument. Dieses wurde im Jahr 2011 ersatzlos aus dem Polizeigesetz gestrichen, da man davon ausging, dass die polizeiliche Anhaltung in der Strafprozessordnung genügend abgedeckt ist. Für eine Anhaltung aus Fahndungsgründen, zur Gefahrenabwehr oder Erkennung von noch nicht bekannten Straftaten gibt es aber keine formell gesetzliche Grundlage. Dieser Akt ist im Polizeigesetz unbedingt wieder abzubilden.

Zur Person: Für die Mitte/EVP-Fraktion übernimmt Heidi Romer-Jud die Sprecherrolle. Die 53-Jährige ist seit 2017 Gemeindepräsidentin von Benken und war vor dieser Funktion mehr als 20 Jahre bei der Staatsanwaltschaft in Uznach tätig, davon 16 Jahre als Sachbearbeiterin mit staatsanwaltlichen Befugnissen.

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