Ein juristisches Gutachten hat im Kantonsrat den Ausschlag für die Rückweisung des St. Galler Polizeigesetzes gegeben.
SG Wappen Arge Alp
Das Wappen des Kanton St. Gallen über den Sitzen der Ständeräte im Nationalratssaal im Bundeshaus in Bern. - Keystone

Ausschlaggebend für die Ablehnung des St. Galler Polizeigesetzes im Kantonsrat war ein Rechtsgutachten. Es bildet auch die Basis für die überarbeitete Vorlage, in der das heikelste Thema gestrichen wurde. Nur: Der Inhalt der Expertise ist bisher nur der zuständigen Kommission bekannt.

Bis das überarbeitete St. Galler Polizeigesetz in der Junisession 2023 zurückgewiesen wurde, hatte es bereits einen längeren Weg zurückgelegt. Ein erster Entwurf der Regierung ging im Februar 2022 in die Vernehmlassung.

Viele der vorgeschlagenen Änderungen waren völlig unbestritten. Es gibt in der Vorlage aber auch heikle Themen, bei denen es um Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte geht.

Unter anderem soll ein «Bedrohungs- und Risikomanagement» eingeführt werden

Die Grundlagen dafür sind Datensammlungen von sogenannten «Gefährdern». Dies ist ein heikles Gebiet, weil diese Personen teilweise noch gar nicht straffällig geworden sind – aber trotzdem registriert werden können.

Noch einen Schritt weiter ging es beim Thema «Predictive Policing», der vorausschauenden Polizeiarbeit. Damit könnte die Polizei auf Algorithmen basierende Software einsetzen, um «empirische Gefährderprognosen» zu erhalten. Das Ziel: Die Polizei soll eingreifen können, bevor überhaupt eine Straftat geschieht.

In der Vernehmlassung verlangte die kantonale Fachstelle für Datenschutz klarere Regelungen für die «Gefährderdatenbank». In der definitiven Vorlagen wurden diese Einwände allerdings kaum berücksichtigt. Die nächste Station des Geschäfts war dann die Beratung durch die Kommission des Kantonsrats.

Gutachten sorgt für Klarheit

Für ihre zweite Sitzung im Mai 2023 bestellte die Kommission dann aber ein Gutachten bei zwei Rechtsanwälten eines Zürcher Büros: Tobias Jaag ist ein Staats- und Verwaltungsrechtsexperte, Thomas Würgler war früher Kommandant der Zürcher Kantonspolizei.

Auch aufgrund deren Expertise beschloss die Kommission einstimmig, die Rückweisung eines Teils des Geschäfts zu beantragen.

Thomas Würgler Kantonspolizei
Thomas Würgler, ehemaliger Kommandant der Kantonspolizei Zürich, an einer Medienkonferenz 2017. - Keystone

Üblich ist, dass über ein solches Beratungsergebnis noch vor der Session informiert wird. In diesem Fall veröffentlichte die Kommission keine Mitteilung.

Eine Informationspflicht gebe es nicht, erklärte Lukas Schmucki, Generalsekretär des Kantonsrats, auf Nachfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Klare Mehrheit folgt dem Rückweisungsantrag

In der Junisession folgte dann eine klare Mehrheit dem Rückweisungsantrag der Kommission. Regierungsrat Fredy Fässler (SP) wehrte sich nicht dagegen.

Er erklärte, dass der Kanton mit der Thematik der polizeilichen Präventivarbeit Neuland betrete und die bundesgerichtliche Rechtsprechung dazu im Fluss sei.

St. Galler Regierungspräsident Fredy Fässler
Fredy Fässler ist Regierungspräsident in St. Gallen. - Keystone

Es ist eine Besonderheit bei diesem Geschäft, dass das für den Entscheid ausschlaggebende Gutachten vorläufig unter Verschluss bleibt. Das Öffentlichkeitsgesetz spielt hier nicht.

Es handle sich dabei um eine Beilage zum Kommissionsprotokoll, erklärte Schmucki. Der Zugang dazu sei im Geschäftsreglement des Parlaments geregelt.

Demnach könne das Protokoll der vorberatenden Kommission zurzeit nicht eingesehen werden, weil die Beratung des Geschäfts noch nicht abgeschlossen sei. Danach entscheide er als Generalsekretär im konkreten Einzelfall über eine Einsichtnahme.

Diese Beschränkung betrifft nicht nur die Öffentlichkeit – sondern auch die sechs Kantonsrätinnen und Kantonsräte der Grünliberalen. Weil sie wegen der zu kleinen Zahl keine eigene Fraktion bilden können, bleiben sie von der Kommissionsarbeit ausgeschlossen.

Ein GLP-Antrag um Einsicht in das Gutachten sei von der Kommission «klar abgelehnt» worden, bestätigte der Generalsekretär des Parlaments.

Mehr Rechtsschutz und Verzicht auf «Predictive Policing»

Inzwischen hat die St. Galler Regierung bereits einen neuen Entwurf in die Vernehmlassung gegeben. Darin werden verschiedene Vorbehalte aus dem Gutachten aufgenommen.

Unter anderem enthält die Vorlage nun einen höheren Rechtsschutz für «Gefährder» oder Präzisierungen für den interkantonalen Datenaustausch. Es gibt zudem einen wesentlichen Unterschied: Die Regierung verzichtet «mangels Handlungsbedarf» auf das «Predictive Policing».

Das Instrument habe in der vorberatenden Kommission «mehr Fragen als Lösungen» aufgeworfen und sei vor allem aus datenschutzrechtlichen Überlegungen stark umstritten, heisst es zum neuen Entwurf.

Die Polizei wende «im jetzigen Zeitpunkt sowie in näherer Zukunft Predictive Policing ohnehin nicht an». Die Zeit dafür sei aufgrund der politisch kontroversen Beurteilung «noch nicht reif».

Nach der noch bis am 27. Oktober laufenden Vernehmlassung wird die Vorlage zum neuen Polizeigesetz von der Regierung nochmals überarbeitet und danach der zuständigen Kommission und anschliessend wieder dem Kantonsrat vorgelegt.

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