Bundesrat Ignazio Cassis bekräftigte, Sanktionen sind mit der Neutralität vereinbar. Doch was bringt dies, wenn der Rest der Welt zu einem anderen Urteil kommt?
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Fabian Molina (SP), Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte) und Roland Büchel (SVP) (von links nach rechts). - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweiz übernimmt die EU-Sanktionen gegen Russland – trotz ihrer Neutralität.
  • Die Neutralität sei ein dynamischer Begriff, sagt Mitte-Nationalrätin Schneider-Schneiter.
  • SVP-Vertreter Roland Büchel sieht sie hingegen ernsthaft in Gefahr.
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Am Montag hat der Bundesrat einen historischen Entscheid getroffen: Er hat sich den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen.

Ignazio Cassis erklärte, man habe sich diesen Schritt unter dem Aspekt der Neutralität nicht leicht machen dürfen. Man sei jedoch zum Schluss gekommen, die Neutralität werde mit den Sanktionen nicht verletzt. «Einem Aggressor in die Hände zu spielen, ist nicht neutral.»

Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Bundesrats, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen?

Dies deckt sich jedoch nicht mit der Auffassung der internationalen Gemeinschaft. «Die Schweiz bricht ihren historisch neutralen Status», twitterte die ukrainische Zeitung «The Kyiv Independent». Die New York Times schrieb, die Schweiz habe mit dieser Übernahme der EU-Sanktionen die Tradition der Neutralität «auf die Seite gestellt».

Doch was bringt es, wenn sich die Schweiz weiterhin als neutrale Partei ansieht, wenn der Rest der Welt widerspricht?

Schneider-Schneiter: «Neutralität ist ein dynamischer Begriff»

«Neutralität einseitig zu deklarieren, bringt nichts. Sie muss von den anderen Staaten anerkannt werden», sagt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter auf Anfrage. Im Russland-Ukraine-Krieg übe die Schweiz zu Recht Solidarität mit dem angegriffenen Staat und den Sanktionsmassnahmen der EU. «Wir nehmen damit aber bewusst in Kauf, dass es künftig schwieriger werden dürfte, unser Land als Staat der ‹gute Dienste› in der Weltgemeinschaft zu positionieren.»

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Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter während der Herbstsession am 30 September 2021. - Keystone

Doch Schneider-Schneiter, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission APK-N, präzisiert: «Die Vorstellung, es gäbe ‹die› Neutralität ist nicht und war noch nie zielführend. Vielmehr handelt es sich seit jeher um einen dynamischen Begriff, dessen Interpretation politisch immer wieder neu ausgehandelt werden muss.»

Roland Büchel (SVP): «Neutralität ist akut gefährdet»

Für SVP-Vertreter der APK Roland Büchel ist «die Neutralität nicht ‹nur zur Seite gestellt›, sie wird damit akut gefährdet. Gefährlich ist vor allem, dass wir die Handlungsmacht aus der Hand geben und Sanktionen quasi auf Vorrat übernehmen.»

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Der St. Galler SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel. - Keystone

Doch erst recht stelle sich die Frage mit der Mitgliedschaft zum UNO-Sicherheitsrat, so der SVP-Nationalrat. «Dort werden wir genötigt, über Krieg und Frieden mitzuentscheiden. Die Neutralität der Schweiz wird damit untergraben.»

Fabian Molina (SP): «Neutralität darf nicht mit Indifferenz verwechselt werden»

Am anderen Ende des Spektrums steht SP-Nationalrat Fabian Molina: «Gemäss Haager Abkommen, der Grundlage der Neutralität, steht Sanktionen nichts entgegen.»

Die Schweiz stehe per Verfassung auf der Seite des Völkerrechts und für den Frieden und es sei im ureigenen Interesse, die regelbasierte Weltordnung zu verteidigen. «Das Zögern des Bundesrats war deshalb unverständlich und skandalös.»

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Nationalrat Fabian Molina (SP) spricht während der Herbstsession am 20. September 2021. - Keystone

«Die Neutralität, also die Pflicht auf Gewalt zu verzichten, ist eine gute Sache. Sie darf aber nicht mit Indifferenz verwechselt werden. Die Schweiz muss sich für Menschenrechte, Frieden und Demokratie engagieren!»

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