Exklusive Umfrage zu Tempo 30: Mehr Zustimmung als gedacht?
Eine neue Umfrage zeigt eine gespaltene Bevölkerung, die aber fallsweise Tempo 30 sehr schätzt. Braucht es eine Volksabstimmung?

Das Wichtigste in Kürze
- Tempo 30 stösst gemäss einer neuen Umfrage des VCS auf viel Zustimmung.
- Eindeutig sind die Ergebnisse zwar nicht. Genau deshalb brauche es eine Volksabstimmung.
- Da Bundesrat Rösti Tempo 30 per Verordnung regeln will, ist keine Abstimmung möglich.
Das Parlament will beim Tempo 30 klarere Leitplanken und sagte Ja zur Motion von FDP-Nationalrat Peter Schilliger: auf «verkehrsorientierten Strassen» soll die Geschwindigkeits-Reduktion grundsätzlich nicht mehr möglich sein. Verkehrsminister Albert Rösti will dies demnächst in einer Verordnung so festhalten.

Eine Änderung des Strassenverkehrsgesetzes sei dazu nicht einmal nötig, womit allerdings auch Parlament und Stimmvolk nichts dazu sagen können. Auch in Umfragen und Volksabstimmungen zeigte sich zuletzt: Tempo 30 hat einen schweren Stand.
Tempo 30: Bis zu 70 Prozent Zustimmung
In einer neuen, Nau.ch exklusiv vorliegenden Umfrage von Demoscope im Auftrag des VCS zeigt sich aber ein anderes Bild. Einige Aspekte rund um Tempo 30 scheinen höchst umstritten, in anderen sprechen sich die Befragten grossmehrheitlich für Tempo 30 aus.
Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent lehnt es in der VCS-Umfrage ab, dass der Faktor Lärmschutz zur Begründung von Tempo 30 wegfallen soll. Praktisch unentschieden ist man bei der Frage, ob stattdessen die (teureren) Flüsterbeläge Verwendung finden sollten).

Eine grosse Mehrheit von 70 Prozent findet hingegen: Gemeinden und Kantone sollen selber entscheiden, mit welchen Massnahmen sie die Bevölkerung vor schädlichem Strassenlärm schützen wollen. Also zum Beispiel auch mit Tempo 30.
Anwohner kommen auf den Geschmack
Gleich hoch fällt das Resultat aus bei der Frage: Befürwortet man Temporeduktionen zugunsten der Sicherheit – auch wenn sich die Fahrzeit dadurch verlängert?
Eine knappe Mehrheit unterstützt sogar Tempo 30 als Standard in Städten. Nur gerade 8 Prozent finden, Tempo 30 vor der eigenen Haustüre sei zu langsam. Die Umfrage bei rund 1000 Personen im Oktober zeigte keinen signifikanten Unterschied bei Stadt-Agglo-Land.
Für Martin Winder, Bereichsleiter Verkehrspolitik & Kampagnen beim VCS, zeigt die Umfrage vor allem eines: «Wer Tempo 30 kennt, möchte nicht mehr zurück auf Tempo 50. Das heisst: Jene, die in Tempo 30 vor der eigenen Haustüre haben und die gesteigerte Lebensqualität geniessen, unterstützen dies sehr viel stärker als jene, welche die Vorteile (noch) nicht kennen.»
VCS mit Seitenhieb gegen TCS
Umgekehrt werde aber auch deutlich, dass die Bevölkerung beim Tempo 30 gespalten sei: «Es gibt keine klare Mehrheit für oder gegen Tempo 30», betont Winder.

Die Ergebnisse einer TCS-Umfrage mit rund zwei Dritteln gegen Tempo 30 will Winder dagegen nicht gelten lassen. Der TCS habe nach «flächendeckendem Tempo 30» gefragt, was gar nicht zur Diskussion stehe: «Seine Umfrage ist damit wertlos.»
Parlament reagiert: Braucht es eine Volksabstimmung?
Anderer Meinung ist FDP-Nationalrat Peter Schilliger, der Auslöser der aktuellen Debatte. Wobei auch er nicht sehr viel auf Umfragen gibt: «Die besten Umfragen sind Abstimmungen.»
Doch gerade bei diesen sieht sich Schilliger bestätigt: «Sowohl im Kanton Zürich wie auch in Lugano haben die Stimmberechtigten klar zum Ausdruck gebracht, dass sie kein flächendeckendes Tempo 30 wollen.»

Für Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter ist dagegen klar: «Tempo 30 ist eine zentrale Massnahme für weniger Verkehrslärm und mehr Sicherheit und hat sich auf vielen Strassen längst etabliert.» Umfragen hin oder her, mit seiner «Verordnungspolitik» versuche Bundesrat Rösti, eine Volksabstimmung zu verhindern. «Das wirkt wie ein Rückzugsgefecht zugunsten der Autolobby.»
Wie geht's weiter beim Tempo 30?
Was genau die Haltung der Bevölkerung zum Tempo-30-Regime ist, lässt sich derzeit schwer sagen. Gerade darum sei die Mitsprache wichtig, beton Martin Winder vom VCS: «In einer solch offenen Ausgangslage mit einer Verordnung ein Bundesdiktat zu erlassen, ist mehr als nur fragwürdig.»
Für FDPler Schilliger liegt dies aber im Ermessen des Bundesrats. Auch Röstis Vorgängerin Simonetta Sommaruga habe Tempo-30-Regeln per Verordnung erlassen. «Selbstverständlich steht es allen Akteuren frei, eine Initiative zu diesem Thema zu lancieren.» Eine solche – des VCS – sei 2001 aber klar abgelehnt worden, merkt Schilliger weiter an.
Beim VCS will man zunächst abwarten, welche Schlüsse der Bundesrat aus der Anfang Dezember beendeten Vernehmlassung zieht. Dann werde man weitersehen, sagt Martin Winder: «Wo und mit welchen Mitteln noch vernünftige Lösungen möglich sind und wo sie allenfalls erkämpft werden können.»








