Die Wirtschaft ist ziemlich zufrieden mit dem Bundesrat. Nur bei Quarantäne und Homeoffice könnte er noch mehr tun. Beziehungsweise eben weniger.
Quarantäne Familie Omikron Coronavirus
Einkauf, Zeitung und Post vor der Wohnungstür einer Familie, die sich in Quarantäne befindet, fotografiert am 5. November 2020 in Zürich. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Economiesuisse fordert die Aufhebung der Quarantäne-Regeln.
  • Mit Omikron sei das sinnvoll, im Gegensatz zur Situation während der Delta-Dominanz.
  • Gegen Long Covid helfe vor allem eins: Impfen, impfen, impfen.
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Viel zustimmendes Kopfnicken für die Entscheide des Bundesrats bei der Pandemie-Bewältigung gibt es derzeit aus der Wirtschaft. Zum Mäkeln Anlass geben vor allem zwei Punkte. Einerseits die Quarantäne, die die angespannte Personal-Situation noch zusätzlich verschärft. Andererseits, dass die Verlängerung der bestehenden Massnahmen wie die Homeoffice-Pflicht bis Ende März dauern soll.

Nau.ch hat mir dem Chefökonomen des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, Rudolf Minsch, darüber geredet, warum die Wirtschaft diesbezüglich in die Offensive geht. Inwiefern spielen gesundheitliche Aspekte oder Long Covid bei den Unternehmen eine Rolle?

Rudolf Minsch Economiesuisse
Rudolf Minsch ist Chefökonom und Mitglied der Geschäftsleitung von Economiesuisse. - Keystone

Nau.ch: Economiesuisse scheint sehr zufrieden damit, wie der Bundesrat auf die Omikron-Welle reagiert. Aber eigentlich würden Sie gerade bei Quarantäne und Homeoffice eher noch weiter gehen?

Rudolf Minsch: Den Entscheid, die Quarantäne- und Isolationsdauer zu reduzieren, begrüssen wir. Selbstverständlich würden wir es auch begrüssen, wenn die Quarantäne-Regelung demnächst ganz abgeschafft würde. Die Taskforce bestätigt, dass bei sehr hohen Fallzahlen die Quarantäne nicht mehr viel bringt. Jetzt, mit den neuen Informationen zu Omikron, kann man so weit gehen.

Nau.ch: Stellt man so die Kostenfrage über die Gesundheitssituation oder wirft man angesichts von Omikron einfach das Handtuch, im Sinne von: «Es nützt ja doch nichts»?

Coronavirus Varianten Omikron
Die relative Häufigkeit der verschiedenen Varianten des Coronavirus in der Schweiz (grau: fehlende Daten). - covariants.org

Rudolf Minsch: Der Nutzen ist sehr wohl entscheidend. Der Zusatznutzen bei sehr vielen Personen in der Quarantäne ist minimal – hier stützen wir uns auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Bei tiefen Fallzahlen sieht das dann wieder anders aus, dann kann eine Quarantäne wieder sinnvoll sein.

Nau.ch: Es entsteht der Eindruck, die Wirtschaftsverbände lobbyierten in diesem spezifischen Punkt sehr offensiv. Ist dem so, und wenn ja, warum?

Rudolf Minsch: Viele Betriebe haben massive Probleme, weil sie zu wenig Personal haben. Ganze Schichten können nicht mehr gefahren werden, einzelne Betriebe müssen gar ganz schliessen. Vor dem Hintergrund, dass die Quarantäne relativ wenig nützt, erscheint es uns wichtiger, dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann.

Intensivstation Triemli Personal Covid
Ärzte und Pflegepersonal bereiten einen Patienten auf die Installation einer Lungenersatz-Maschine (ECMO) auf der Covid-19-Intensivstation des Stadtspitals Zürich vor, am 15. Dezember 2021. - Keystone

Das geht bis hin zu Spitälern und den Intensivstationen. Das sind Leute, die de facto nicht krank sind, entsprechend kann man die verkürzte Quarantäne auch verantworten.

Nau.ch: Wer gesund ist, soll auch arbeiten können, aber Gesunde sollen auch möglichst nicht krank werden. Besteht nicht das Risiko, dass es umso mehr Ansteckungen gibt, wenn die Arbeitnehmer nicht in der Quarantäne bleiben? Oder wenn sie, statt Homeoffice zu machen, mit dem ÖV pendeln?

coronavirus
In Graubünden mussten zuletzt mehrere Hotels schliessen. Das Steigenberger Grandhotel Belvédère hatte zu wenig Personal, weil Angestellte aufgrund der Massnahmen gegen das Coronavirus in Quarantäne sind. - Keystone

Rudolf Minsch: Es geht darum, dass der Metzger, der Verkäufer, der Coiffeur und der Bauarbeiter vor Ort sein können. Denn sonst wird die Arbeit nicht erledigt. Die zehn Tage Quarantäne sind entstanden aufgrund von Erkenntnissen aus der ersten und zweiten Welle, als Beta und Delta dominierten. Die Ansteckungszeiten bei Omikron sind aber deutlich kürzer.

Nau.ch: In Deutschland will die Regierung ein Recht auf Homeoffice schaffen: Ein Angestellter kann verlangen, dass er von Zuhause aus arbeiten kann. Betriebe müssten dann begründen, warum die Anwesenheit eines Mitarbeiters zwingend notwendig ist. Wie beobachten Sie diese Entwicklung?

Rudolf Minsch: Das wäre völlig verkehrt. Der Betrieb sollte selbst entscheiden können, ob ein Arbeitnehmer vor Ort sein muss oder nicht. Teamarbeit, ein Projekt kreativ voranzutreiben, das geht mit Homeoffice kaum.

Homeoffice Omikron Coronavirus
Ein Mann arbeitet mit Laptop und Bildschirm im Homeoffice, fotografiert am 5. Januar 2022 in Zürich. - Keystone

Homeoffice ist ein gutes Mittel für temporäre Situationen, da kann sogar mehr Produktivität herausschauen. Sicher gibt es auch positive Effekte. So hat man jetzt in der Pandemie gesehen, dass Homeoffice auch in Fällen funktioniert, wo man dies nicht gedacht hätte.

Aber über längere Zeit wird das sehr schwierig: Es fehlt der Austausch, man ist fast ausschliesslich in den eigenen vier Wänden. Der Informationsfluss leidet, das hören wir gerade auch aus Industriebetrieben.

Long Covid Coronavirus
Teilnehmer eines Reha-Sportkurses für Long-Covid-Patienten laufen über Trainingsleiter. Mit der Übung soll die Koordination trainiert werden. Foto: Carolin Eckenfels/dpa - dpa-infocom GmbH

Nau.ch: Ist bei diesen Überlegungen Long Covid eigentlich ein Thema? Wenn die Hälfte der Bevölkerung sich ansteckt und davon ein zweistelliger Prozentsatz Folgeschäden haben sollte, sind das Hunderttausende Angestellte.

Rudolf Minsch: Nun, ich bin kein Epidemiologe. Was man bis jetzt sagen kann: Bei Geimpften ist der Verlauf weniger schlimm und die Schwere des Verlaufs gibt einen Hinweis auf Long Covid. Das gilt auch bei Omikron.

Darum setzen wir uns nach wie vor dafür ein, dass die Leute sich impfen lassen. Impfen, impfen, impfen, das ist weiterhin die Devise.

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