In der «Arena» erhalten Menschen mit Behinderungen die Bühne. Sie machen der Politik schwere Vorwürfe und wünschen sich Verbesserungen.
«Arena»
Islam Alijaj will für die SP in den Nationalrat und Menschen mit Behinderungen mehr Sichtbarkeit verleihen. - SRF, keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die «Arena» widmet der Behinderten-Session eine Sondersendung.
  • Die Politiker, die Nebendarsteller sind, müssen sich Vorwürfe anhören.
  • Die Menschen mit Behinderung kritisieren den geschützten Arbeitsmarkt.

Für einmal werden die nationalen Politiker in den Hintergrund gestellt: Nach der ersten Behindertensession im Bundeshaus erhalten Personen mit Behinderungen auch in der «Arena» die Bühne.

Die Behindertensession mit der verabschiedeten Resolution sei ein «wichtiger erster Schritt», sagt die gehörlose Ärztin Tatjana Binggeli. Es müsse jetzt aber weitergehen, «es dürfen nicht bloss Buchstaben auf einem Blatt Papier und Symbolpolitik bleiben».

Arena
Tatjana Binggeli ist gehörlos. In der «Arena» übersetzte deshalb eine Gebärdensprache-Dolmetscherin simultan. - SRF

Ein Tag allein könne nichts verändern, sagt auch die Berner EVP-Grossrätin Simone Leuenberger, die wegen eine Muskelkrankheit im Rollstuhl ist. Doch bereits im Vorfeld hätten die Medien in einer «zu wenig gewohnten Art» über Behinderte berichtet: «Wir wurden nicht als bemitleidenswerte Wesen dargestellt, sondern als Bürger, die teilhaben und dazugehören wollen.»

Menschen mit Behinderungen seien nicht speziell, hätten nicht spezielle Bedürfnisse. «Wir sind Menschen wie du auch und wollen als solche unser Land mitgestalten», so Leuenberger. Binggeli pflichtet bei: «In erster Linie sind wir Menschen.»

Doch Gehörlose seien in vielen Bereichen ausgeschlossen. Die Präsidentin des Schweizerischen Gehörlosenbunds listet auf: «Wir haben in der Bildung, in der Arbeitswelt, in der direkten Demokratie und in der Kultur keinen Zugang.»

Arena
Daniela Leuenberger politisiert für die EVP im Kanton Bern. - SRF

Leuenberger ist zwar in der Politik, doch es brauche im Rathaus viel Planung: Um in den Saal zu gelangen, müsse sie einen langsamen Treppenlift benutzen, eine Fahrt dauere viereinhalb Minuten. «Der Ratssaal ist barrierefrei, nicht aber hindernisfrei.»

Auch Islam Alijaj, geh- und sprechbehinderter Zürcher SP-Gemeinderat, erlebt im Alltag Hindernisse. Er würde als erstes beim ÖV beginnen: 20 Jahre hätten die Verkehrsbetriebe Zeit gehabt, um Haltestellen und Fahrzeuge barrierefrei zu machen. «Doch wir sind nirgends, weil sich niemand dafür interessiert, dass wir barrierefrei reisen können.»

Nationalrat Lohr: Behinderte dürfen nicht als Kostenfaktor gesehen werden

Als Folge müsse er jeweils auf das Tram mit Niederflureinstieg warten. «Es ist ein Skandal, dass ich Lebenszeit hergeben muss, weil die Strukturen fehlen. Darum müssen wir in die Politik, um das zu korrigieren», so Alijaj. Repräsentation sei wichtig, denn «die Parlamentarier vergessen uns Menschen mit Behinderungen».

Lohr
Mitte-Politiker Christian Lohr ist seit 2011 im Nationalrat. - keystone

Dies trifft auf den Mitte-Nationalrat Christian Lohr wohl kaum zu, denn er sitzt selbst im Rollstuhl. Das Ziel seiner politischen Arbeit sei es, aufzuzeigen, dass «Menschen mit Behinderungen nicht bloss ein Kostenfaktor sein dürfen». Doch von der Politik spüre er vor allem, dass er ein Kostenfaktor sei, so Alijaj in der «Arena».

Der SP-Politiker kritisiert auch, dass es zwei Arbeitsmärkte – den regulären und den geschützten für Behinderte – gibt. Denn für Beschäftigte des zweiten sei es nicht möglich, eine Altersvorsorge aufzubauen. Dies sei Diskriminierung, sagt Alijaj.

Alijaj in der «Arena»: Behindertenwesen ist eine Milliarden-Industrie

Auch Leuenberger findet es einen Skandal, dass Menschen mit Behinderung arbeiten und keinen Lohn erhielten, mit dem sie leben könnten. Es gebe genügend Arbeit für Behinderte, doch man sei nicht bereit, ihnen einen angemessenen Lohn zu bezahlen.

Hingegen ist man bereit, ein Parallelsystem aufrechtzuerhalten, das vielen Leuten Geld gebe, damit sie schauen, dass Behinderte beschäftigt blieben. Neben Leuenberger kritisiert auch Alijaj das System: «Das Behindertenwesen ist eine Milliarden-Industrie und wir Menschen mit Behinderungen sind das Produkt.» Das Geld könne man viel besser einsetzen, beispielsweise um die politische Teilhabe zu ermöglichen.

Macht die Schweizer Politik bereits genug für Menschen mit Behinderungen?

In der «Arena» versprechen die anwesenden Bundespolitiker, die Situation für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Binggeli sagt aber: «Oft gibt es gute Vorschläge, das Papier nimmt alles an. Doch in der Realität wird es dann nichts.» Auch Leuenberger sagt: «Auf die schönen Worte folgen leider wenige Taten, obwohl diese häufig leicht machbar sind.»

Islam Alijaj will dies selber ändern. Der Zürcher Gemeinderat will die Repräsentation der Menschen mit Behinderungen verbessern. Dafür kandidiert er bei den Wahlen im Herbst für den Nationalrat. «Die Diskussion ist noch lange nicht beendet.»

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