Wir machen Klimaschutz! Sagt das Stimmvolk. Aber nur mit AKWs! Sagen die, die schon immer für AKWs waren. Ein Kommentar.
AKW Gösgen Atomkraft Strom
Malerische Aussichten: Das AKW Gösgen. - sda
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Das Wichtigste in Kürze

  • Strom ohne CO2? Das gehe nicht ohne AKWs.
  • Wie dem auch sei: Die Diskussion droht zu entgleiten.
  • Mehr Sachlichkeit, nicht nur beim Thema Klimawandel: Ein Kommentar.

Die Debatte ist nicht neu, aber sie schwappt wieder hoch, nachdem das Klimaschutz-Gesetz nun wirklich schwarz auf weiss in die Gesetzessammlung aus Recycling-Papier gedruckt werden darf. Atomstrom verursache sozusagen keinen CO2-Ausstoss, also solle dieser unsere Energiezukunft retten helfen. Ein Müsterchen aus der aktuellen Debatte zeigt, wie solche und andere Diskussionen eben gerade nicht laufen sollten.

Furchtbar fruchtlose Diskussionen

Andere Diskussionen wie: Nützt Impfen gegen die Seuche XY, weil es gibt da eine Studie und darin steht dieser Satz. Ausser, dass überraschenderweise «dieser Satz» halt nicht der einzige in der ganzen Studie ist. Diskussionen wie: Vor zwei Jahren waren Sie dagegen, wie können Sie nur Ihre Meinung geändert haben? Ausser, dass es nicht um exakt dasselbe ging und es trotz zwei Jahren harter Arbeit niemand geschafft hat, ein Gesetz gegen Schlauerwerden zu verabschieden.

Hans Oeschger NZZ 1975
Ein Müsterchen an Argumentation: Ausschnitt aus dem Artikel von Hans Oeschger in der «NZZ» vom 9. Juli 1975. - Twitter/@SchaerWords

Das Müsterchen: Sogar der Pionier der Klimaforschung Hans Oeschger habe 1975 in der «NZZ» geschrieben: «Nicht Radioaktivität, sondern Kohlendioxid als Hauptgefahr». Wie gesagt: Nur ein Beispiel von vielen und es geht hier nicht darum, die zweifelsohne vorhandene Kompetenz des damaligen Physik-Professors an der Uni Bern anzuzweifeln.

Es gibt für alles eine Lösung

Oeschger ist überzeugt, dass seine Wissenschafts-Kollegen gute Arbeit geleistet haben und Atomenergie zu Unrecht als unsicher verteufelt wird. Das sehe man alleine schon daran, dass «bis heute schon eine grosse Anzahl Kernkraftwerke seit zehn und mehr Jahren in Betrieb sind, ohne dass dabei durch radioaktive Strahlung Menschen ums Leben gekommen wären.»

Tschernobyl radioaktive Wolke
Die Ausbreitung der radioaktiven Wolke aus dem explodierten Atomkraftwerk Tschernobyl über Europa, am 2. Mai 1986. - Screenshot YouTube/Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire IRSN

Der anfallende, «vergleichsweise harmlose», radioaktive Abfall sei rein volumenmässig sehr gering. «Die endgültige Deponie wird in geeigneten geologischen Formationen erfolgen», erläutert Oeschger dem interessierten Leser. Für genügend Energie und Wärme komme «heute in unserem Land nur die Kernspaltung in Frage».

CO2-Anstieg gefährlicher als Radioaktivität

Viel mehr Sorgen bereitet Oeschger der Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe. Seine Experten-Kollegen rechneten mit einer Verdopplung bis 2100, was einen Temperaturanstieg von zwei Grad zur Folge habe. «Mit der Konsequenz weltweiter Katastrophen (Dürren, Überschwemmungen wegen Abschmelzens von Polareis) müsste gerechnet werden.»

Morteratsch-Gletscher Beschneiung Schneiseil
Mit einem «Schneiseil» wird 2021 die künstliche Beschneiung des Morteratsch-Gletschers getestet. - keystone

Ganz abgesehen davon, dass mit dem CO2 man sich ebenfalls eine nur langsam wieder rückgängig zu machende Problematik ins Haus hole. Deshalb: Lieber AKWs als Klima-Katastrophe. Hat denn der Hans Oeschger etwa nicht recht? Das ist nicht die Frage, sondern: Taugt seine Meinung als Argument im Jahr 2023?

Harmlose AKWs von 1975

Sie ahnen es: Nein, denn, hach, wir sind ja sooo viel schlauer, es ist kaum zum Aushalten. Unterdessen sind Menschen durch AKWs ums Leben gekommen und viele mehr schwer erkrankt. Wir hatten Tschernobyl, Fukushima und zahlreiche kleinere Zwischenfälle. Es stimmt, die Deponie der radioaktiven Abfälle erfolgt tief unten im Gestein. Nach der «geeigneten geologischen Formationen» hat die Nagra seit 1973 gesucht und bereits 2022 «Nördlich Lägern» gefunden.

Nördlich Lägern Stadel Nagra
Ein Informationscontainer der Nagra in der Zürcher Gemeinde in Stadel, wo das Endlager von radioaktivem Abfall gebaut werden soll. Der Baustart ist für das Jahr 2045 vorgesehen. - keystone

Die Wasserkraft wird 1975 unterschlagen, E-Mobilität gab es noch nicht und mit Fotovoltaik betriebene Wärmepumpen hätten wohl heftigstes Nachschlagen in Lexika ausgelöst. Weil es Wikipedia auch nicht gab – zum Glück, das braucht eh nur wieder Strom. Trotzdem ist Professor Oeschgers Beitrag sehr wertvoll.

Jahre später …

Denn, haben Sie es gemerkt? Nicht nur die Nagra hat fast 50 Jahre gebraucht. Schon 1975 hat man uns vor dem Klimawandel gewarnt, in den genau gleichen Worten wie heute auch noch. Die mittlere Temperatur ist in der Schweiz schon fast zwei Grad angestiegen und es ist noch nicht einmal 2100. Aber wenigstens ist die Gesetzgebung genau gleich schnell wie die Nagra.

Temperaturmittel Schweiz Klimawandel CO2
Die mittlere Jahrestemperatur in der Schweiz (blau) und das über 10 Jahre geglättete Mittel (rot). - MeteoSchweiz / Nau.ch

Gerade die Auslassungen und historischen Fehleinschätzungen von 1975 zeigen: Es kann immer auch anders kommen. Es gibt technologische Entwicklungen und für diese sollte man auch offen sein. Vielleicht eher nicht diejenigen Varianten mit potenziell grossem Schaden für die Menschheit. Aber wer weiss, vielleicht erfindet in fünf Jahren jemand etwas Originelles, das als Abfallprodukte lediglich Kryptonit und Unobtanium hat.

Weise Worte zum Schluss

Womit wir zwar längerfristig wieder ein Entsorgungsproblem haben werden. Aber wenigstens wären wir gegen eine Invasion von Superhelden gerüstet. Es gilt, unvoreingenommen zu sein und aus der Vergangenheit zu lernen, aber nicht aus Sätzen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind. Irgendwie scheint, nebst Atomkraft und Klimawandel, auch dies schon 1975 ein ungelöstes Problem gewesen zu sein.

Albert Rösti Klimawandel
Bundesrat Albert Rösti spricht bei der Eröffnung der BAFU-Fachtagung «Anpassen an den Klimawandel», am Dienstag, 16. Mai 2023 in Bern. - keystone

Hans Oeschger schliesst seinen Beitrag nämlich mit folgenden Worten: «Falls auf diesem Niveau weiterdiskutiert wird, könnten scheinbar plausible, aber oberflächliche Argumente in der Öffentlichkeit besser ankommen, als die fundierten und in gründlicher Auseinandersetzung mit den Problemen erarbeiteten. Das hätte zur Folge, dass die Weichen für die Zukunft völlig falsch gestellt würden.»

Hm. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er damit gemeint haben könnte. Aber vielleicht wissen wir es dann in 48 Jahren.

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