Kremlchef Wladimir Putin wird verehrt und gehasst. Zum einen zeigt eine Personality Show ihn ganz persönlich. Zeitgleich demonstrieren Tausende Russen.
Journalisten schauen die Übertragung des Treffens zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem japanischem Ministerpräsident Shinzo Abe.
Journalisten schauen die Übertragung des Treffens zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem japanischem Ministerpräsident Shinzo Abe. - ap photo
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Das Wichtigste in Kürze

  • Tausende in Russland demonstrieren gegen die Erhöhung des Rentenalters.
  • Putins neueste Propaganda-Sendung kann den Unmut des Volkes nicht dämmen.

Widersprüchliche Szenen eines Tages in Russland. In Moskau feiern Hunderttausende am Sonntag das aufwendig inszenierte Stadtfest. Fast überall im Land wird gewählt: Ortsparlamente, Gouverneure, Bürgermeister. Zugleich demonstrieren Tausende gegen ein höheres Rentenalter. In mehreren Städten greift die Polizei durch und nimmt über 1000 Menschen fest. In Moskau werden junge Demonstranten verprügelt, sogar Kinder wurden kurz festgehalten.

Und am Abend zeigt der staatliche Fernsehkanal Rossija 1 in einer neuen Personality-Show «Moskau. Kreml. Putin», wie souverän der Präsident sein Land steuert: Wladimir Putin bei einem Syrien-Gipfel in Teheran, Wladimir Putin bei der Eröffnung eines hypermodernen Moskauer Konzertsaals.

Prügel und Propaganda – beides spricht für Nervosität der russischen Führung zu Beginn von Putins neuer sechsjähriger Amtszeit. Im März war der 65-Jährige mit der Rekordmehrheit von 76,69 Prozent wiedergewählt worden. Doch die Reform des Rentensystems, verkündet im Juni im Windschatten der Fussball-WM, hat seine Zustimmungswerte auf das Niveau von Februar 2014 sinken lassen. Das war vor der patriotischen Begeisterung, die Putin mit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim ausgelöst hat.

Noch im Mai 2018 – so eine Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts – fanden 79 Prozent der Russen Putins Amtsführung gut, nur 20 Prozent sahen das anders. Im Juli fanden ihn nur noch 67 Prozent gut, aber 32 Prozent nicht. Parallel gingen die niedrigen Werte für Regierungschef Dmitri Medwedew und sein Kabinett weiter in den Keller.

Propaganda wie in der Sowjetunion

Also wurde die Propaganda verstärkt, doch schon die Erstausgabe von «Moskau. Kreml. Putin» Anfang September stiess auf ein geteiltes Echo. Die Sendung wirke «wie ein ungeschickter Versuch, auf die Schnelle die sinkenden Zustimmungswerte des Präsidenten zu retten», schrieb der Journalist Dmitri Kolesew auf dem Portal znak.com.

Moderator Dmitri Solowjow zeigte Putin beim Kurzurlaub in Sibirien: Er wandert, er pflückt Beeren. Kremlsprecher Dmitri Peskow berichtete geradezu Wunderbares über seinen Chef: Die scheuen Steinböcke seien vor ihm nicht weggelaufen, dafür hätten Bären respektvoll Abstand gehalten. «Der Bär ist ja nicht dumm. Wenn er Putin sieht, benimmt er sich natürlich anständig», sagte Peskow.

Russische Medienexperten verglichen das mit dem Personenkult, wie er bei den Sowjetführern Lenin, Stalin oder Leonid Breschnew geherrscht habe. Der Kreml manövriere sich aber in eine Sackgasse, warnten sie: Auch in Russland reagiere das Publikum mittlerweile mit Abwehr oder Ironie auf übertriebene Lobhudelei.

Vielleicht ähnelte die zweite Ausgabe der Sendung auch deshalb mehr einem üblichen Politikmagazin. Solowjow zeigte sogar einen fehlbaren Putin: Zweimal nahm ein Wahlautomat den Stimmzettel des Präsidenten nicht an, weil er ihn falsch herum eingelegt hatte.

Grosser Unmut in Russlands Bevölkerung

Am Ergebnis des Wahlsonntags hatte der Kreml wenig Freude: Die Regierungspartei Geeintes Russland verlor in den Regionen massiv an Stimmen. Der Ärger über die geplante Erhöhung des Rentenalters sitzt tief, und auch ein Machtwort Putins in einer eigens anberaumten Fernsehansprache im August hat die Unruhe nicht beseitigen können.

Bei den Frauen soll das Pensionsalter von 55 auf 60 Jahre, bei den Männern von 60 auf 65 Jahre steigen. Das bringt die Pläne der russischen «Baby-Boomer», der geburtenstarken Jahrgänge in den 1960er Jahren, für den Ruhestand in Unordnung. Enkel, Datscha, Zuverdienst müssen warten. Viele Männer in Russland, vor allem im armen Osten, werden gar nicht so alt, um die Rente zu erleben.

Diesen Unmut tragen die Russen erstmals seit den Massenkundgebungen gegen Wahlfälschungen 2011 wieder auf die Strasse. Die Prügel hat der Kreml reserviert für die Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny. Sie demonstrieren ohne Zustimmung der Behörden und nehmen auch einige Tage Arrest in Kauf. Zwar sind die Nawalny-Fans eine Minderheit in Russland, doch die Zeiten bleiben für den Kreml unruhig.

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