Die Geschichte der türkischen Republik ist voller Widersprüche. Eine Doku veranschaulicht, wie gross jeweils der Einfluss zweier Politiker ist, die bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten aufweisen.
Szene aus der Arte-Dokumentation «Väter der Türken». Foto: -/ARTE France/dpa
Szene aus der Arte-Dokumentation «Väter der Türken». Foto: -/ARTE France/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am 9. Oktober startete die Türkei trotz internationaler Kritik in Nordsyrien eine Militäroffensive.

Das Ereignis verdeutlicht auf offensichtliche Weise, wie sehr sich das Land vom Westen abgewandt hat. Vor noch gar nicht so langer Zeit verfolgte der republikanische Einheitsstaat das Ziel, Teil Europas zu werden. Heute strebt er eher die Vorherrschaft in der islamischen Welt an.

Die Dokumentation «Väter der Türken», die an diesem Dienstag um 20.15 auf Arte zu sehen ist, geht der Frage nach, wohin sich die Türkei entwickelt und inwiefern ihre Politik eine Bedrohung darstellt. Der Film ruft die letzten 100 Jahre permanenter Unruhen und Krisen des Landes in Erinnerung und spannt einen Bogen von Mustafa Kemal Atatürk bis Recep Tayyip Erdogan. Beide fungieren als Protagonisten, anhand derer Regisseur Nicolas Glimois den Verlauf der Republikgeschichte rekonstruiert.

Dabei entdeckt Glimois viele Gemeinsamkeiten, obwohl Atatürk und Erdogan auf den ersten Blick grundverschieden zu sein scheinen. Der eine revolutionär, laizistisch und westlich ausgerichtet, der andere reaktionär, islamistisch und im Orient verhaftet.

Trotz dieser Unterschiede gibt es aber Eigenschaften, in denen sie sich ähneln. Beide verbindet der autoritäre Politikstil und die Ideologie der einen Nation, deren Identität und Einheit über alles geht. Um die zwei «Väter der Türken» gegenüberzustellen, entführt der Film die Zuschauer in die Zeit des Osmanischen Reiches, von wo aus die Doku Parallelen zwischen Atatürk und Erdogan zu ziehen beginnt.

Der geschichtliche Exkurs macht Halt an so wichtigen Stationen wie dem Unabhängigkeitskrieg, der Republikgründung, der Abschaffung des Kalifats oder dem Putschversuch 2016. Dabei geht der Regisseur auch auf heikle Themen ein. Zur Sprache kommen sowohl die Verfolgung von Kurden und Aleviten als auch die Vertreibung der Griechen und der Völkermord an den Armeniern, den die Türkei bis heute leugnet.

Kommentiert werden die Ereignisse von überwiegend türkischen Dissidenten, Journalisten, Schriftstellern und Soziologen. Ihre Aussagen montiert Nicolas Glimois zwischen teils unveröffentlichten Archivaufnahmen in Schwarz-Weiss, die sehr originell wirken und einen eindrucksvollen Kontrast bilden zu Erdogans öffentlichen Auftritten oder knalligen Ausschnitten aus Propagandavideos, in denen Rapper begeistert den Namen des türkischen Präsidenten skandieren.

Auf diese Weise ist eine kurzweilige wie informative Dokumentation entstanden. Sie veranschaulicht, inwiefern die türkische Republik in den 100 Jahren ihres Bestehens schon immer zwischen Extremen schwankte - zwischen Europa und Asien, zwischen Moderne und Tradition. Die Geschichte des Landes ist voller Widersprüche, die, so die Quintessenz, massgeblich auf die beiden «Väter» zurückgehen.

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