Für einen, der meint, es sei nichts Besonderes aus ihm geworden, ist Daniel Spoerri ziemlich bekannt. Weltberühmt, könnte man auch sagen. Der Objektkünstler und Eat- Art-Erfinder wird jetzt 90.
Daniel Spoerri vor seinem Werk «Tableau piège». Foto: picture alliance / dpa
Daniel Spoerri vor seinem Werk «Tableau piège». Foto: picture alliance / dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Stimmt zwar, dass Daniel Spoerri sich vor allem mit Dingen des Alltags beschäftigt.

Knoblauchpresse, Suppenteller, Aschenbecher. Aber der Objektkünstler tut das auf so originelle Weise, dass er damit schon vor Jahrzehnten im Olymp der modernen Kunst landete, dem New Yorker Museum of Modern Art.

«Topographie des Zufalls» nennt er seine Werke, die Momentaufnahmen des Alltags einfrieren. 2019 zeigten Museen in Krakau, Krems und Knokke-Zoute sein Werk. Heute wird Daniel Spoerri 90 Jahre alt. Zu einem Interview steht er in Coronavirus-Zeiten nicht zur Verfügung.

«Ich glaube, dass gar nichts Bedeutendes aus mir geworden ist», sagt der Altmeister in einem Dokumentarfilm, der vor ein paar Monaten in seiner Wahlheimat Österreich erschienen ist. «Ich bin kein Spezialist im Sinne von irgendetwas. Ich mache nur, was ich meine machen zu müssen von Tag zu Tag.» «Dieser Film ist ein Geschenk» heisst das Stück von Anja Salomonowitz.

Spoerri ist darin an seinem Arbeitsplatz zu sehen, mehr Trödelladen als Künstlerkulisse: Im Regal hinter ihm liegen Unmengen von Dingen, ein ausgestopfter Vogel, eine Knoblauchpresse, ein blau-weisses Ess-Service, Schusters Leisten und eine schlanke Madonna. Spoerri schafft aus so etwas Kunstwerke, die wie Standbilder aus einem Film Augenblicke in einem sonst weiterrauschenden Leben festhalten.

Berühmt sind seine Fallenbilder. Gegenstände werden darauf wie in einer Falle eingefangen. Spoerri beschreibt es auf seiner Webseite so: «Gegenstände, die in zufälligen, ordentlichen oder unordentlichen Situationen gefunden werden, werden in genau der Situation, in der sie gefunden werden, auf ihrer zufälligen Unterlage (Tisch, Schachtel, Schublade und so weiter) befestigt.» Der Idee aus seinen bildkünstlerischen Anfängen in den 60er Jahren ist er treu geblieben: 2016 startete er eine Serie mit Flohmarkttischen.

Zu den Anfängen gehört etwa «Petit déjeuner de Kichka» (1960), das im MoMA in New York hängt. Dafür hat Spoerri die Reste eines Frühstücks seiner Freundin auf einem Brett verewigt, das auf einem Stuhl liegt. Oder «Hahns Abendmahl». Das Kunstwerk entstand nach einem Abendessen am 23. Mai 1964 bei dem Chefrestaurator des Wallraf-Richartz-Museums in Köln. Alle Gäste hatten eigenes Geschirr mitgebracht. Als sie fertig waren, klebte Spoerri das Geschirr samt Essensresten, Aschenbechern und Weinflaschen auf der Tischplatte fest. Das Kunstwerk zierte schon Wände in vielen Ausstellungen. Es gehört dem Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien.

«Hahns Abendmahl» sieht aus der Distanz wie ein abstraktes Gemälde aus. Wenn die Gäste ordentlicher, das Geschirr einheitlicher und die Serviettenfarbe markanter war, erinnern andere Werke in dem Stil von Weitem auch an die Momentaufnahme aus einem Kaleidoskop.

Erstmals stellte Spoerri solche Bilder 1960 in Paris beim «Festival d’art d’avantgarde» aus. Zusammen mit Künstlern wie Jean Tinguely, Christo und Niki de Saint Phalle gründete er die Bewegung des «Nouveau Realisme». Sie sollte helfen, die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen an der Lebenswirklichkeit zu schulen.

Spoerri ist auch Erfinder der Eat-Art, Kunst als essbares Objekt, etwa aus Kuchenteig oder Marzipan. Damit wollte er auf physische und psychische Sinneszusammenhänge hinweisen. 1968 eröffnete Spoerri in Düsseldorf ein eigenes Eat-Art-Restaurant, in dem Kunstwerke bewusst für den Verzehr geschaffen wurden. «Zentrale Themen in Spoerris Werk sind der Geschmackssinn des Menschen und das Hinterfragen von Essgewohnheiten», heisst es auf seiner Webseite. «Die Verfremdung von Speisen stellt überlieferte Sinneswahrnehmungen und Traditionen in Frage oder irritiert sie zumindest.»

Daniel Isaac Feinstein wurde in Galati in Rumänien geboren. Sein Vater wurde im Zweiten Weltkrieg in einem Vernichtungslager umgebracht, die Mutter gelangte mit ihren Kindern auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1942 in die Schweiz. In Zürich adoptierte ihn sein Onkel, dessen Nachnamen er dadurch bekam.

Spoerri startete seine künstlerische Karriere in den 50er Jahren als Tänzer in Bern. In den 60er Jahren experimentierte er als Objektkünstler, in den 70er Jahren war der leidenschaftliche Koch auch Restaurantchef. In den 90er Jahren schuf er in der südlichen Toskana, etwa 60 Kilometer südlich von Siena, den Skulpturengarten «Il Giardino di Daniel Spoerri». 2009 eröffnete er in Hadersdorf am Kamp (bei Krems in Österreich) das «Kunst-Staulager Spoerri» als Ausstellungs- und Begegnungsstätte.

Seine Werke hängen heute in Museen in aller Welt, in Deutschland etwa in Bremen, Leverkusen, Mönchengladbach, Krefeld, Köln, Hannover, Ingolstadt und Hamburg.

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