Seine wuchtige, fantasmagorische Filmsprache der frühen Jahre zog Kritker und Publikum des Kunstkinos in ihren Bann. Zuletzt wurde es aber auf der internationalen Bühne eher still um Emir Kusturica. Hat die Wendung zum serbischen Staatskünstler seiner Schaffenskraft geschadet?
Emir Kusturica wird 65. Foto: Marcial Guillen/epa/dpa
Emir Kusturica wird 65. Foto: Marcial Guillen/epa/dpa - dpa-infocom GmbH
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Emir (Nemanja) Kusturica, geboren am 24.

November 1954 in Sarajevo, ist ein recht typisches Kind des sozialistischen Jugoslawiens. Vater Murat war - wie es damals so definiert war - von muslimischer Nationalität, Mutter Senka orthodoxe Serbin. Beide waren Beamte und nicht religiös.

Kusturica wuchs in der bosnischen Hauptstadt auf, in der rebellische und kreative Geister einen guten Nährboden vorfanden. Vor allem für Film und Rockmusik war Sarajevo in jenen Jahren ein Kultort. «Kusta», wie Kusturica von Freunden genannt wurde, zog es zu den bewegten Bildern. Das Handwerk lernte er an der Filmakademie in Prag.

Seine ersten Filme, «Erinnerst du dich an Dolly Bell?» (1981) und «Papa ist auf Dienstreise» (1984), setzten sich kritisch und ironisch mit dem real existierenden Sozialismus in seiner Heimat auseinander. In «Die Zeit der Zigeuner» (1988), der märchenhaften Geschichte eines Roma-Jungen, der magische Kräfte besitzt und ungewollt ins kriminelle Milieu gerät, entwickelte Kusturica seine fantasmagorische, surreale, von rauschhaften Rhythmen getragene Filmsprache weiter.

Als 1992 der Krieg in Bosnien ausbrach und serbische Milizen Sarajevo einer grausamen, vierjährigen Belagerung unterwarfen, war Kusturica bereits international bekannt. Für «Papa ist auf Dienstreise» hatte er schon 1985 die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Umso bestürzter waren seine Freunde in Bosnien, als er seinen Zweitwohnsitz Paris verliess und nach Belgrad flog, in die Metropole des serbischen Kriegsherrn Slobodan Milosevic.

Mit den Ressourcen des serbischen Staatsfernsehens RTS drehte Kusturica seinen international gefeiertsten Film, «Underground» (1995), für den er in Cannes eine weitere Goldene Palme erhielt. Es ist eine irrwitzige Parabel, in der sich Geschehnisse aus dem mythologisch verklärten anti-faschistischen Kampf der Jugoslawen im Zweiten Weltkrieg mit dem damals aktuellen Krieg im zerfallenen Jugoslawien auf fantastische Weise miteinander verschränken.

In den folgenden Jahren mutierte Kusturica mehr und mehr zum serbischen Staatskünstler. Seine späteren Filme, darunter «Schwarze Katze, weisser Kater» (1998), «Das Leben ist ein Wunder» (2004) oder «Milky Way» (2016), reichten nach Ansicht von Kritikern und Juroren nicht an sein früheres Schaffen heran. Das Fantastische, Schrullige, Bizarre, Gewalttätige verklärt und ästhetisiert nach Einschätzung dieser Kritiker die Rückständigkeit der südosteuropäischen Peripherie.

Den Weg in eine Art völkischen Romantizismus und Irrationalismus beschritt Kusturica ungebrochen weiter. 2005 liess er sich in einem montenegrinischen Kloster orthodox taufen und nahm den mittelalterlichen serbischen Königsnamen Nemanja an. Mit serbischen Staatsgeldern gründete er im Süden Serbiens die Kunst-Siedlung Küstendorf (serbisch: Etno selo), eine Art Disneyland des serbischen Nationalismus, zu dessen Zeremonienmeister er sich zunehmend aufschwang.

Danach schuf er in Visegrad, im serbischen Teil Bosniens, die Kitsch-Stadt Andricgrad, benannt nach dem jugoslawischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Ivo Andric (1892-1975). Zum 100. Jahrestag des Attentats auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslöste, ersann er im Juni 2014 für Andricgrad ein skurriles Spektakel. Den Attentäter Gavrilo Princip liess er als weissgeflügelten Engel vom Himmel gleiten, bevor dieser zu süsslichen Streicherklängen den Mordanschlag am Habsburger und seiner Gattin vollstreckte.

Die Slawistin Miranda Jakisa, die an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, sieht in Kusturica einen «Künstler, der sich zum Gesamtkunstwerk stilisiert». Er betone häufig, er mache eine Kunst, die erst in der Zukunft verstanden werden könne. «Er möchte eine retrospektive Legende werden.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

GeburtstagMutterVaterBellFilmeKriegKunst