Nach der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken hält Masha Gessen am Vergleich der Situation in Gaza mit jüdischen Ghettos fest.
Masha Gessen
Die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen erhielt Kritik für Äusserungen im «The New Yorker». - Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

«Die Behauptung der Einzigartigkeit des Holocausts stellt ihn ausserhalb der Geschichte», sagte Gessen am Montag in Berlin während einer Diskussion über die Position in der Heinrich-Böll-Stiftung mit den Stiftungsvorständen Imme Scholz und Jan Philipp Albrecht.

Der jüdischen Autor*in – Gessen definiert sich als nicht-binär und ordnet sich damit keinem Geschlecht zu – war die renommierte Auszeichnung zuerkannt worden. Gessen, 1967 in Moskau geboren, lebt in New York und schreibt über politische Strömungen und Konflikte in der US-amerikanischen und der russischen Gesellschaft.

Nach einem Artikel im Magazin «The New Yorker», indem Gessen die Situation in Gaza mit den jüdischen Ghettos im besetzten Europa verglich, war die ursprünglich im Bremer Rathaus geplante Ehrung nach Kritik an diesen Äusserungen abgesagt worden. Heinrich-Böll-Stiftung und Bremer Senat zogen sich von der Preisverleihung zurück, die am Freitag im kleinen Rahmen stattfand.

Zahlreiche Berichte jüdischer Stimmen

«Wenn wir den Holocaust ausserhalb der Geschichte stellen, verraten wir das Versprechen des »Nie wieder«. Man kann dieses Versprechen nur einlösen, wenn man sich ständig fragt, ob die Dinge, die in der Gegenwart geschehen, an das erinnern, was vor 90 Jahren geschah, ähnlich sind oder im Wesentlichen ähnlich», sagte Gessen. «Wir dürfen nicht so tun, als sei der Holocaust unmöglich, auch wenn er bereits geschehen ist.»

«Der Grund, warum ich den Vergleich für wichtig halte, ist, dass ich an die Sprache glaube», sagte Gessen. «Wenn wir schlechte Metaphern oder Analogien verwenden, verstehen wir nicht, worum es geht.» Gessen verwies auf zahlreiche Berichte auch jüdischer Stimmen aus Gaza. «Die Mehrheit der Bevölkerung in Gaza leidet heute unter extremem Hunger.»

Im voll besetzt Saal der mit den Grünen verbundenen Stiftung gab es viel Unterstützung für Gessen. Einzelne Stimmen opponierten. Scholz und Albrecht begründeten den Rückzug der Stiftung von der Auszeichnung unter anderem damit, eine Debatte sei in diesem Rahmen nicht möglich gewesen. Umso dankbarer seien sie, dass Gessen der Einladung nach Berlin gefolgt sei.

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