Ein Kind nicht ganz von dieser Welt: J. M. Coetzee sucht das Göttliche in unserer profanen Gegenwart. Ein gewagter, nicht durchweg überzeugender Ansatz.
Das Cover von «Der Tod Jesu». Foto: fischerverlage/dpa
Das Cover von «Der Tod Jesu». Foto: fischerverlage/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das ist schon ein ungewöhnliches literarisches Projekt, das der südafrikanische Autor J. M. Coetzee («Schande») seit einigen Jahren verfolgt.

In einer Trilogie erzählt der 1940 in Kapstadt geborene Autor vom Schicksal eines jungen Flüchtlingskindes in unserer Zeit. Dabei tragen die Bücher alle den Namen Jesu im Titel und verweisen so auf die Bibel und das Neue Testament.

In den drei Romanen allerdings fällt der Name Jesu kein einziges Mal. Sie beinhalten keine moderne Heilsgeschichte, sondern erzählen in betont nüchterner, schmuckloser Sprache vom kurzen Leben des Flüchtlings David, der mit einem Schiff in ein namenloses Land kommt, in dem Spanisch gesprochen wird. Dort wird er von den Migranten Simón und Inés adoptiert und entpuppt sich schon bald als aussergewöhnliche, sehr eigenwillige Person. Er bringt sich das Lesen selbst bei, erweist sich als begnadeter Tänzer und gibt seinen Stiefeltern dann immer mehr Rätsel auf.

Mit «Der Tod Jesu» schliesst der Literaturnobelpreisträger von 2003 nun seine Trilogie, und als Leser bleibt man auch nach diesem kurzen Roman etwas ratlos zurück. David ist nunmehr zehn Jahre alt, kennt den «Don Quichote» von Cervantes auswendig, weigert sich aber, zur Schule zu gehen oder andere Bücher zu lesen, und spielt stattdessen begeistert Fussball. Zu seinen Stiefeltern geht er immer mehr auf Distanz. Als der Leiter eines Waisenhauses auf David aufmerksam wird, beschliesst der Junge, Simón und Inés zu verlassen und zieht ins Waisenhaus. Kurz danach befällt ihn eine rätselhafte Lähmung. Im Krankenhaus wird eine unheilbare Nervenkrankheit diagnostiziert, an der David schliesslich stirbt.

Ein allumfassende Trauer zieht sich wie ein roten Faden durch diesen Roman, der leicht zu lesen ist, aber schwer zu verstehen. David und seine Stiefeltern sind Entwurzelte, Fremde auf der Flucht, die in der fiktiven Stadt Estrella nur geduldet werden. So etwas wie Heimat scheint es für diese Menschen nicht zu geben. Vielleicht sind sie sich sogar selbst fremd. Aber der Roman erklärt ihre Beweggründe und Motive nicht. Und weit und breit ist kein rettender Engel in Sicht.

«Ich muss nicht im Universum sein. Ich kann eine Ausnahme sein», sagt David kurz vor seinem Tod. Dass er eine Art neuer Messias ist, legt Coetzees Roman mit einer ganzen Reihe von biblischen Anspielungen nahe. Ein Lamm wird in Davids Krankenzimmer gebracht, das in der Nacht vom Hund Bolivar gefressen wird. Oder es ist die Rede von einem, «der kommt, und uns mit einer neuen Vision aufrüttelt».

Das neue, das nächste Leben nach dem Tod beschäftigt den kranken Jungen, und Simón findet ungewöhnlich tröstende Worte für diese Reise: «Don Quijote wird am Kai warten, um dich zu begrüssen. Wenn die Männer in Uniform versuchen, dich aufzuhalten, und eine Karte mit einem neuen Namen und einem neuen Geburtsdatum an deinem Hemd zu befestigen, wird er sagen: «Lasst ihn passieren, caballeros. Das ist David el famoso, der berühmte David, an dem ich Wohlgefallen habe».»

Der unsterbliche Held der Literatur beschützt den Protagonisten, der auf dieser Welt keinen Platz zu haben scheint. Eine schöne Vision, aber Coetzees zunächst durchaus bewegender Roman über eine entwurzelte Familie erstarrt zusehens unter der Last der Anspielungen und Symbole.

- J. M. Coetzee: Der Tod Jesu, S. Fischer, Frankfurt/Main, 242 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3103970265.

© dpa-infocom, dpa:200616-99-439827/3

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