Hat die Autobahn als etwas Urdeutsches noch Zukunft? Ein Fotograf hat sich auf den Weg gemacht, um diese Frage näher zu beleuchten. Das Ergebnis seiner Fahrt auf Tausenden Autobahnkilometern ist jetzt in Mannheim zu sehen.
Luftbild vom Autobahnkreuz Walldorf. Hier kreuzen sich die Autobahnen A5 und A6. Foto: Uli Deck/dpa
Luftbild vom Autobahnkreuz Walldorf. Hier kreuzen sich die Autobahnen A5 und A6. Foto: Uli Deck/dpa - dpa-infocom GmbH
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Bilder von Familienfahrten auf der Autobahn in den Österreich-Urlaub oder Kinderspiele in Herne nahe der Sichtschutzwand der Autobahn 42 haben sich in das Gedächtnis von Jörg Brüggemann eingebrannt.

Solche Kindheitserinnerungen haben den weit gereisten Fotografen dazu gebracht, «einmal vor der Haustür» zu fotografieren. Was folgte, waren fünf Jahre Beschäftigung mit einem Kulturgut der Deutschen - mit der Autobahn. Ein Netz von 13 100 Kilometern Beton und Asphalt, das sich vom Rhein bis zur Oder und von der Nordsee bis zu den Alpen erstreckt.

Eine Sonderausstellung im «Zephyr - Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn-Museen» in Mannheim zeigt Brüggemanns Eindrücke von seiner Reise durch das Autobahnland Deutschland. Seine 46 Farbaufnahmen sind vom 5. September bis 6. Januar 2021 zu sehen.

Der Geschäftsführer der Fotografen-Agentur Ostkreuz hat bei seiner Fahrt auf dem grauen Band Aspekte festgehalten, die jeder kennt: Bremsstreifen, die auf einen Unfall hindeuten, immer längere Lastwagen, die den Verkehr behindern, oder die Solidarisierung wildfremder Menschen bei Vollsperrungen. Solche Begegnungen auf der Autobahn sind eigentlich ungewöhnlich, sagt Brüggemann. Ihre Anonymität gehöre zu ihr wie das demokratische Prinzip. «Wir nutzen die Autobahn alle gleich.»

Brüggemann ist für sein Projekt 20 000 Kilometer in einem umgebauten Kastenwagen unterwegs gewesen. «Deutschlands monumentalstes Bauwerk stiftet Identität wie etwa die Pyramiden in Ägypten», sinniert der Künstler. Doch während die Pyramiden sich zu reinen Sehenswürdigkeiten entwickelt haben, wird die Autobahn eifrig genutzt und ist immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen, etwa um die Pkw-Maut oder das Tempolimit. Noch, schränkt Brüggemann ein. Seine Zweifel an der Zukunft der staugeplagten Rennstrecke drückt er im Titel der Schau aus: «wie lange noch»? Zugleich verweist der Titel auf die Frage, mit der Kinder ihre Eltern bei endlos scheinenden Autobahnfahrten nerven.

Für Brüggemann ist die Autobahn eine Architektur des 20. Jahrhunderts - eine Errungenschaft, die den Babyboomern Freiheit und Wohlstand brachte. Mit den veränderten Bedürfnissen der jungen Generation, die Smartphones, Computer und E-Bikes statt Autos begehren, könne die Autobahn ihre Funktion verlieren. Abreissen komme nicht infrage. Wohin auch mit dem ganzen Material? «Vielleicht wird sie mal von Pflanzen überwuchert», sagt der 40-Jährige.

Der Auto Club Europa teilt Brüggemanns Einschätzung nicht. «Es sind so viele Fahrzeuge auf den Autobahnen wie nie zuvor und es werden im Nahverkehr wegen limitierter Kapazität der Schiene noch mehr werden», sagt Sprecher Sören Heinze. Es gelte, die Autobahn zukunftsfest zu machen durch weniger Schadstoffausstoss und Lärm und die Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln. «Aber überflüssig wird sie in 30, 50 Jahren nicht sein.»

Das Spinnennetz mit Verdichtungen im Raum Frankfurt, im Ruhrgebiet und um Hamburg und lockeren Fäden in Ostdeutschland geht auf ein etwa 100 Jahre altes Konzept zurück. Um schneller von A nach B zu kommen, entwickelten deutsche Ingenieure nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte eine Strasse ohne Kreuzungen, mit Auf- und Abfahrten und durch Mittelstreifen getrennte Fahrbahnen. Erstmals ausprobiert wurde die «Autostrada» in Norditalien. Das erste Teilstück von Mailand nach Varese wurde am 21. September 1924 eröffnet. Die erste Autobahn in Deutschland verband 1932 Köln und Bonn. Vorreiter war die Berliner Avus, eine Hobbyrennstrecke, auf der gegen Maut jeder rasen durfte.

«Wer also die Erfindung der Autobahn den Nazis zuschreibt, fällt auf die damalige Propaganda herein», sagt Werner Buhl, Vizechef der Arbeitsgemeinschaft. Beim Spatenstich Adolf Hitlers am 23. September 1933 für die Strecke von Frankfurt über Darmstadt und Mannheim nach Heidelberg reklamierte Hitler den Titel erste «Reichsautobahn» für sich. Dabei griff das Projekt zur Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit zu einem grossen Teil auf Pläne des Vereins zur Vorbereitung der Autostrasse Hansestädte-Frankfurt-Basel zurück. Diese gab es seit 1926. Insgesamt wurden unter Nazi-Ägide 4000 Kilometer Autobahn gebaut.

Fotograf Brüggemann hat nun erstmal genug vom Autofahren. Er will wieder mehr mit der Bahn reisen.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

FotografFotografieArchitekturComputerBahnAutobahn