Abenteuer mit Tiefgang: «Im Strom der Steine»

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Deutschland,

Wenn ein Imperium zerbricht, was passiert dann an seinen Rändern? Der russische Schriftsteller Wladimir Medwedew erzählt vom entlegenen Zentralasien und klärt grundsätzliche Fragen.

«Im Strom der Steine», ein Roman von Wladimir Medwedew. Foto: --/Aufbau Verlag Berlin/dpa
«Im Strom der Steine», ein Roman von Wladimir Medwedew. Foto: --/Aufbau Verlag Berlin/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Es ist eine brutale, aber fesselnde Geschichte, die der russische Autor Wladimir Medwedew in seinem Roman «Im Strom der Steine» erzählt.

Sie handelt vom Verlust aller Gewissheiten und spielt in einem Land, das für Deutschland fern und fremd ist: Tadschikistan.

Das Hochgebirgsland in Zentralasien war immer der Rand des erst russischen, dann sowjetischen Imperiums, ein Armenhaus an der Grenze zu Afghanistan. Als die Sowjetunion zerbrach, begann in Tadschikistan ein Bürgerkrieg mit mehr als 100.000 Toten. Säkulare Kräfte, Islamisten und regionale Machthaber bekämpften einander.

In diesen Krieg wird im Buch die russische Lehrerin Vera hineingezogen mit ihren fast erwachsenen Kindern Andrej und Sarina. Ihr Mann, ein tadschikischer Arzt, wird ermordet. Seine Verwandten retten Mutter und Kinder und nehmen sie mit in ihr abgelegenes Bergdorf. Dort herrscht die offizielle tadschikische Ehefrau des Toten; sie lässt die ungeliebte Nebenfamilie bis zur Erschöpfung Steine sammeln auf den kargen Feldern.

Und dann taucht in den Bergen ein Feldkommandeur auf, ein Warlord oder Gewaltunternehmer, wie man mit modernem Fachbegriff sagen würde. Mit blankem Terror zwingen er und seine Bewaffneten die Bergbauern zum Opiumanbau. Wie ein grausamer Herrscher im persischen Epos «Schahname» trägt er eine Schlange um den Hals als Zeichen der Macht. Und er wirft ein Auge auf Sarina ...

Es gibt in Medwedews Buch Abenteuer, Action, Melodrama und Exotik. Doch mehr interessiert ihn, wie der Zerfall des kommunistischen Riesenreichs Menschen aus der Bahn geworfen hat. Vor dem Krieg war der Warlord Kreisparteisekretär. Der fromme Dorf-Eremit hat in Moskau Marxismus-Leninismus studiert. Der Offizier mit Afghanistan-Erfahrung kann den Verfall der Ordnung nicht aufhalten. Der Tierarzt ist zu gutmütig, um sich gegen die strenge Dorftradition aufzulehnen.

Alle Werte lösen sich im Krieg auf. In den Köpfen mischen sich sowjetisches Pathos, russische Kultur, tadschikische Volksweisheit und islamische Frömmigkeit. Medwedew verteilt die Handlung auf mehrere Ich-Erzähler mit jeweils eigener Wahrnehmung und Sprache. Er lässt im Roman eher die Sympathieträger zu Wort kommen. Es eint sie, dass sie hilflos sind angesichts der rohen Gewalt.

Medwedew (77) hat selbst lange in Tadschikistan gelebt. Er ist in der zeitgenössischen russischen Literatur einer der wenigen Autoren, die über das Schicksal der früheren Sowjetrepubliken schreiben. «Der Zerfall der Sowjetunion hat bei mir ein starkes Gefühl des Bedauerns hinterlassen, dass Asien Russland verlässt, ohne dass wir es kennengelernt haben», sagte er 2018 in einem Interview in Moskau.

Für ihn sei seine russische Jugend in Zentralasien eine wichtige Erfahrung gewesen: «Menschen sprechen eine andere Sprache, Kulturen und Menschen sind verschieden.» Den Begriff «postkoloniale Literatur» sah Medwedew in dem Interview zwar kritisch. Das Verhältnis zwischen dem Machtzentrum Moskau und den beherrschen Gebieten sei nicht kolonial gewesen wie etwa im britischen Empire, sagte er.

Aber in seinem Buch beschreibt er doch die zwiespältigen Gefühle, die auch englische oder französische Schriftsteller geschildert haben, als die Imperien ihrer Länder vergingen: Faszination, Fremdheit, Verlust und Schuld. Für die Russen gibt - so Medwedew - in dem veränderten Tadschikistan keinen Platz mehr.

- Wladimir Medwedew: Im Strom der Steine, aus dem Russischen von Helmut Ettinger, Aufbau Verlag Berlin, 654 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-3-351-03750-5.

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