Ein Trojanisches Pferd für künstliche Aminosäuren
Forschende kapern ein bakterielles Transportsystem, schleusen künstliche Aminosäuren als «Trojanisches Pferd» ein und produzieren effizient Designerproteine.

Wie die ETH Zürich mitteilt, ist es Forschenden der ETH Zürich gelungen, unnatürliche Aminosäuren in grossen Mengen in Bakterien einzuschleusen. Dadurch lassen sich hocheffizient neuartige Designerproteine herstellen. Sie können als effizientere Katalysatoren oder wirksamere Medikamente genutzt werden.
Das Leben kennt 20 Aminosäure-Bausteine, aus denen es die Proteine zusammensetzt. Die Beschränkung auf 20 Bausteine ermöglicht zwar eine grosse Vielfalt an Proteinstrukturen und Funktionen, setzt aber auch klare chemische Grenzen. Im Labor hingegen können Chemiker theoretisch tausende künstliche Aminosäuren synthetisieren, viele davon mit völlig neuen Eigenschaften.
Durch biotechnologische Methoden lassen sich diese künstlichen Bausteine gezielt in Proteine lebender Zellen einbauen. «Proteine mit spezifisch platzierten unnatürlichen Aminosäuren eröffnen sowohl für medizinische und industrielle Anwendungen als auch für die wissenschaftliche Forschung viele neue Möglichkeiten», erklärt Kathrin Lang, Professorin für chemische Biologie an der ETH Zürich.
Ein bakterielles Transportsystem gekapert
Bisher ist der gezielte Einbau von synthetischen Aminosäuren in Proteine allerdings noch deutlich ineffizienter als die Herstellung von Proteinen, die nur aus den 20 natürlichen Aminosäuren bestehen. Anwendungen blieben deshalb meist auf kleine Forschungsansätze beschränkt. Ein wesentlicher Engpass: Unnatürliche Aminosäuren gelangen oft nur in sehr kleinen Mengen in die für die biotechnologische Produktion verwendeten Bakterien.
Langs Gruppe hat nun eine Lösung entwickelt, die es erlaubt, künstliche Aminosäuren effizient in Bakterien einzuschleusen. Damit wird die Erweiterung des Aminosäuren-Werkzeugkastens für den breiten Einsatz in der Medizin und in der biotechnologischen Industrie praktikabel. Die Forschenden haben dafür ein natürliches Transportsystem des Bakteriums E. coli gekapert. Es sorgt normalerweise dafür, dass kurze Protein-Schnipsel, sogenannte Peptide, aus der Umgebung in die Zelle transportiert werden.
Dieses Transportsystem besteht aus zwei Einheiten: einem Kanal in der Zellmembran und einer Shuttle-Komponente. Diese Shuttle-Einheit erkennt drei bis vier Aminosäuren lange Peptide und bringt diese zum Kanal, der sie dann in das Innere der Zellen schleust.
Dort werden die Peptide in ihre einzelnen Aminosäurebausteine zerlegt, die dann der Zellmaschinerie für die Synthese von neuen Proteinen zur Verfügung stehen. Weil das System für alle natürlichen Aminosäuren-Kombinationen funktionieren muss, ist es nicht sehr wählerisch. Auch Peptide, die künstliche Aminosäuren enthalten, werden eingeschleust, viele allerdings nur in kleinen Mengen oder gar nicht.
Mit evolutionärem Ansatz zur spezifischen Bindung
Damit das Transportsystem auch grosse Mengen unnatürlicher Aminosäuren importieren kann, haben die Biochemiker der ETH zwei Tricks angewendet: Zum einen verpackten sie die unnatürlichen Aminosäuren in kurze synthetische Peptide, in denen sie von natürlichen Bausteinen umgeben sind. Diese getarnte Fracht lässt der Transporter bereitwillig passieren – sie ist ein molekulares Trojanisches Pferd.
Zum anderen veränderten die Forschenden zusätzlich die Shuttle-Komponente gezielt. Sie bestimmten dazu die molekulare Struktur der Bindungsstelle für die Peptide im Shuttle. Anschliessend veränderten sie diesen Bereich in Experimenten systematisch und schrittweise, bis die Bindungsstelle auf ein bestimmtes Peptid mit künstlichen Aminosäuren zugeschnitten war.
Für dieses Zuschneiden nutzen die Forschenden Methoden, welche die biologische Evolution im Schnellzugstempo nachahmen. Mit diesem Vorgehen lässt sich das Transportsystem nun für unterschiedlichste Peptide mit unnatürlichen Aminosäuren massschneidern. So gelang es dem Team unter anderem, auch sehr sperrige oder negativ geladene Aminosäuren einzuschleusen, die bisher gar nicht in Zellen importiert werden konnten.
Patent angemeldet
«Die unnatürlichen Aminosäuren stehen nun in den in der Biotechnologie am häufigsten genutzten E. coli-Zellen in grossen Mengen zur Verfügung und können mittels Methoden der Erweiterung des genetischen Codes effizient in Proteine eingebaut werden», sagt Tarun Iype, Doktorand in Langs Gruppe und einer der Erstautoren der Studie.
«Damit lassen sich Designerproteine, die unnatürliche Aminosäuren enthalten, in vielen Fällen genauso effizient produzieren wie ihre natürlichen Pendants», ergänzt Maximilian Fottner, Wissenschaftler in Langs Gruppe und ebenfalls Studien-Erstautor. Die ETH Zürich hat die neue Methode zum Patent angemeldet.
System um andere unnatürliche Moleküle erweitern
Aktuell funktioniert die Methode in E. coli-Bakterien. «Wir arbeiten daran, auch in menschlichen Zellen ein vergleichbares System zu konstruieren», sagt Lang. «Mit diesem liessen sich Proteine herstellen, die alle menschlichen Besonderheiten enthalten, was sie für verschiedenste therapeutische Einsatzmöglichkeiten besser geeignet machen würde.»
Die Pläne der ETH-Biochemiker reichen aber auch über Aminosäuren hinaus, wie Lang berichtet: «Wir wollen das System so weiterentwickeln, dass sich auch andere, bisher nicht zellgängige Moleküle in Zellen einschleusen lassen.»
Diese könnten dann zum Beispiel als Ausgangsstoffe dienen, um komplexe chemische Verbindungen, die sich bisher nur mit grossem Aufwand synthetisieren liessen, effizient biotechnologisch herzustellen.










