Quereinsteiger an Schulen geniessen keinen guten Ruf. Michael Spichtig sagt im Interview, Eltern hätten ihm viel Wohlwollen entgegengebracht.
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Michael Spichtig ist Quereinsteiger, studiert an der PH Bern und arbeitet bereits als Klassenlehrer an der Primarschule Herzogenbuchsee BE. - Julian Blatter
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Ruf von Quereinsteigern wird der Realität oft nicht gerecht.
  • Michael Spichtig (34) studiert als Quereinsteiger an der PH Bern und arbeitet als Lehrer.
  • Er sagt, die Eltern hätten ihm «sehr viel Wohlwollen entgegengebracht».

In der ganzen Schweiz suchen Schulen händeringend nach frischen Lehrkräften, auch Quereinsteiger sind gefragt. Die haben aber einen schweren Stand: Das sind Typen ohne Plan von Pädagogik, die Hals über Kopf ins kalte Wasser geworfen werden – soweit die Vorurteile.

Aber stimmt das? Nau.ch hat mit einem Quereinsteiger aus Bern gesprochen.

Michael Spichtig (34) studiert seit 2021 als Quereinsteiger an der PH Bern. Im Februar hat ihn die Primarschule Herzogenbuchsee BE nach mehreren Praktika und Vertretungen an verschiedenen Schulen als Klassenlehrer angestellt. Davor hat er als politischer Berater für die britische Botschaft gearbeitet.

Nau.ch: Michael Spichtig, wurde Ihnen die Politik zu langweilig?

Michael Spichtig: Zu langweilig würde ich nicht sagen. Ich war wirklich mittendrin im Brexit, nachher kam die Corona-Pandemie. Es war spannend, aber nicht das, was ich bis 65 machen wollte. Und Lehrer hatte ich schon immer ein bisschen im Hinterkopf. Ich komme aus einer klassischen Lehrerfamilie: Grossvater, zwei Onkel, eine Cousine, ein Cousin – alles Lehrer.

Nau.ch: Obwohl Sie noch studieren, sind Sie schon Lehrer. Ist das normal?

Spichtig: Von dem, was meine Kolleginnen und Kollegen mir erzählen, unterrichten schon viele einen Tag oder mehr. Was eigentlich nicht üblich ist: dass ich Klassenlehrer bin.

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Michael Spichtig ist als Klassenlehrer für den Kontakt zu den Eltern und andere administrative Aufgaben zuständig. - Julian Blatter

Nau.ch: Klassenlehrer sind ja auch für den Elternkontakt zuständig. Haben die Sie als Quereinsteiger akzeptiert?

Spichtig: Ein Teil der Eltern hat mich schon aus einem Praktikum gekannt. Zudem gabs in der Klasse einige Wechsel und alle Beteiligten wünschten sich eine dauerhafte Lösung. Mir wurde daher sehr viel Wohlwollen entgegengebracht. Wenn man liest, dass aufgrund des Lehrermangels im Kanton Bern so Horrorszenarien herumgeistern, dass man sagt: «Ah, der Kassier vom Turnverein, der hat ja auch mit Zahlen zu tun, der könnte doch gleich Mathe unterrichten», verunsichert das schon.

Nau.ch: Und Sie sind ein solches Horrorszenario?

Spichtig: Ich bin wahrscheinlich eher ein untypisches Beispiel. Ich habe schon während meines Erststudiums etwas unterrichtet. Von der Schule wurde sehr klar kommuniziert: «Hey, da kommt jetzt jemand, der eben noch studiert.»

Nau.ch: Im Allgemeinen werden Quereinsteiger aber durchaus kritisch gesehen. Ist das gerechtfertigt?

Spichtig: Ich bin ein Quereinsteiger, der auf dem Weg ist, den Abschluss zu machen. Aber was macht man mit denen, die nicht gewillt sind, das Lehrdiplom zu machen? Es gibt ja wirklich solche Fälle. Und da gibt es aus meiner Sicht schon ein paar Fragezeichen. Auf längere Frist hat das sicher Auswirkungen auf die Bildungsqualität. Es ist nicht das Gleiche, wie wenn ausgebildete Personen das machen.

Nau.ch: Oder halbausgebildete...

Spichtig: Ja. Das merke ich bei mir auch. Zum Beispiel die Lernbegleitung oder die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern. Was sind da die Schwierigkeiten? In meinem ersten Praktikum war das ein blinder Fleck für mich.

Nau.ch: Gibts viele von diesen blinden Flecken?

Spichtig: Gerade als ich angefangen hatte, hatte ich zwar inhaltlich den Durchblick, aber das Pädagogische und Fachdidaktische: Wie unterrichte ich? Wie funktioniert das Lehren und Lernen in einem Fach? Das hat damals gefehlt. Heute ist das besser, ich bin bald im fünften Semester. Viele Lücken wurden geschlossen.

Nau.ch: Kann jeder Quereinsteiger werden?

Spichtig: Grundsätzlich würde ich niemanden ausschliessen. Wichtig ist, dass man nicht nur fachliche Interessen hat. Dass man nicht nur sagt: «Ich hatte im Beruf viel mit Mathe zu tun, ich kann Mathe unterrichten.» Es geht auch um andere Fragestellungen: Wie lernen Kinder? Wozu lernen sie etwas? Aber alle verschiedenen Berufsfelder bringen das Ihrige mit. Man muss allerdings bereit sein, selber Lernender zu werden.

Nau.ch: Was springt denn dabei raus? Was verdienen Sie?

Spichtig: Da kann ich transparent sein: Das ist kantonal geregelt, mit Gehaltsklassen. Allerdings habe ich einen Lohnabzug, da ich das Lehrdiplom noch nicht habe. Andererseits komme ich dank meinem Masterabschluss in eine höhere Gehaltsklasse. Ich arbeite 50 Prozent. Ausbezahlt bekomme ich etwa 2500 Franken.

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