Das Sexualstrafrecht muss geändert werden. Wie dies aussehen könnte, zeigt ein Blick nach Schweden. Ein Gastbeitrag von allianceF.
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Kurios: Die betroffene Frau bezeichnet sich selber als «taubstumm». - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Schweizer Parlament brütet über einer Revision des Sexualstrafrechts.
  • Jessica King (Alliance F) wirft im Gastbeitrag einen Blick nach Schweden.
  • Dort findet die diskutierte Zustimmungslösung bereits Anwendung.
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Wann ist Sex eine Vergewaltigung? Wird eine Frau vergewaltigt, wenn sie dem Sex nicht zustimmt, aber auch nicht Nein sagt, und währenddessen regungslos daliegt? Oder zählt es erst dann als Vergewaltigung, wenn sie klar «Nein» sagt?

Diese Fragen werden im Zentrum stehen, wenn der Ständerat in der Sommersession die Revision des Sexualstrafrechts behandelt.

In meiner letzten Kolumne habe ich die «Ja heisst Ja»- Lösung erklärt: Sex sollte dann strafbar sein, wenn er gegen den Willen der anderen Person passiert. Es braucht also keine Drohung oder Nötigung mehr, keine Gewalt.

Dieser Gesetzesvorschlag wird von einer breiten Front von Menschenrechtsorganisationen, Opferberatungsstellen, Strafrechtsprofessor:innen und Politiker:innen aus FDP, EVP, GLP, CVP, SP und Grüne unterstützt.

OECD Mindeststeuer
Das Bundeshaus in Bern. (Archiv) - Pixabay

Gegnerinnen und Gegner kritisieren, dass mit dieser Zustimmungslösung die Beweislast umgekehrt würde – dass mutmassliche Täterinnen und Täter plötzlich beweisen müssen, dass der Sex einvernehmlich war.

Dass so die Unschuldsvermutung ausgehebelt werde. Und sie spotten, dass beide Bettpartner einen gemeinsamen Sex-Vertrag unterschreiben müssen, wenn sie sichergehen wollen, dass sie nicht später der Vergewaltigung bezichtigt werden.

Kein Vertrag nötig

Als Erstes: Es müsste mit «Ja heisst Ja» in keinem einzigen Schlafzimmer der Schweiz ein Notar in der Ecke stehen, um die Zustimmung beider Bettpartner:innen auf Papier festzuhalten. Zwei Personen müssen dem Sex lediglich entweder verbal zustimmen («Ich will dich!») oder aber beim Akt so sichtlich leidenschaftlich bei der Sache sein, dass das «Ja» klar ist.

Als Zweites: Bereits heute ist die Vergewaltigung in den meisten Fällen ein Vieraugen-Delikt. Bereits heute sind die Aussagen von Opfer und Täter die wichtigsten und manchmal einzigen Beweismittel in einem Prozess – Drohungen sind nicht sichtbar, Spuren von Gewalt auch nicht immer. Falschaussagen gibt es schon heute.

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Hinzu kommen eine Geldstrafe, eine Busse sowie Gerichts- und Untersuchungskosten in der Höhe von über 30'000 Franken. (Symbolbild) - Pixabay

Ein Gericht muss also mit der Zustimmungslösung nicht plötzlich völlig andere Massstäbe anwenden – es muss weiterhin die Glaubhaftigkeit von Aussagen beurteilen. Falls die Richter:innen nicht ausreichend Beweise haben oder an dem genauen Tathergang zweifeln, sprechen sie die beschuldigte Person auch in Zukunft frei.

Der Unterschied ist lediglich, dass eine Vergewaltigung mit «Ja heisst Ja» anders definiert wird. Im Prozess steht nicht mehr im Zentrum, ob die Tatperson Gewalt und Zwang angewendet hat, sondern ob beide dem Sex zugestimmt haben.

Schweden als Vorbild

Wie solche Prozesse funktionieren könnten, zeigen Gerichtsdokumente aus Schweden, wo das Einverständnisgesetz seit 2018 gilt. Etwa bei diesem Fall: Ein Mann und eine Frau hatten via Social Media über eine längere Zeit Kontakt, bis er sie offen fragte, ob sie Sex mit ihm wolle.

Ihre Antwort: Sie könnten sich treffen, er dürfe auch bei ihr übernachten. Aber sie wolle keinen Sex. Der Mann kam um 1 Uhr morgens zu ihr – die Frau war da schon im Bett. Er legte sich zu ihr. Was danach kam, empfand die Frau als Vergewaltigung, weswegen sie ihn einige Tage später anzeigte.

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Die Beine einer Frau im Bett. (Symbolbild) - Pexels

Zu den Vorkommnissen dieser Nacht befragten die Strafbehörden beide Personen sorgfältig. Die Aussage des Mannes war, dass sie «passiv» dagelegen sei, mit dem Rücken zu ihm, aber dass er gehofft habe, dass sie Sex wolle. Er habe leichte Hüftbewegungen als «mögliches Signal» in diese Richtung gedeutet.

Später habe er mit der Penetration aufgehört, als er mutmasste, dass sie den Sex doch nicht wolle. Sie gab hingegen an, dass sie zu geschockt war, um sich zu wehren, und wie eingefroren dagelegen sei.

Nachdem der Mann nach Hause gegangen war, schickte er ihr eine SMS und fragte, wie es ihr gehe. In einer späteren Nachricht schrieb er, dass es ihm leidtue – er wisse, dass er etwas falsch gemacht habe.

Zustimmungslösung setzt Zeichen

In diesem Fall führte die Ja-heisst-Ja-Lösung zu einer Verurteilung. Der Mann habe mit seinem Verhalten das Risiko fahrlässig in Kauf genommen, dass die Frau nicht mit dem Sex einverstanden war. Zu den wichtigsten Beweisstücken gehörten die Aussagen des Täters und die Nachrichten, die er der Frau geschickt hatte.

Die schwedischen Gerichtsfälle zeigen, dass die Zustimmungslösung weder die Unschuldsvermutung aushebelt noch die Beweislast umkehrt. Dafür setzt sie ein starkes Zeichen: Jede Person hat ein sexuelles Selbstbestimmungrecht, das nicht verletzt werden darf.

Es darf nicht sein, dass eine Tatperson sich um den Willen des Gegenübers foutiert – nur, weil er oder sie das eigene Bedürfnis nach Sex höher gewichtet als die sexuelle Integrität der anderen Person. Und unsere Gesellschaft braucht solche Zeichen.

Wie finden Sie diesen Gastbeitrag von Alliance F?

Denn über ein Drittel der Männer glaubt laut dieser aktuellen Studie immer noch, dass die Einwilligung zum Sex gegeben ist, wenn die Frau sich aufreizend kleidet und flirtet.

27 Prozent glauben, dass Sex «ohne aktive Gegenwehr» einvernehmlich ist. Und 15 Prozent der Männer sind der Meinung, dass Sex mit einer schlafenden Person okay ist – wenn sie sonst immer zustimmt.

Solche toxischen Vergewaltigungsmythen müssen wir als Gesellschaft überwinden. Eine Vergewaltigung ist IMMER die Schuld der Tatperson. Mit «Ja heisst Ja» wäre dieser Grundsatz endlich auch im Gesetz verankert.

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